Das Bier-Walhalla auf dem Spandauer Berg
Buch erinnert an die Geschichte des legendären Ausflugsziels Spandauer Bock
An der Ecke Reichsstraße und Spandauer Damm stehen zwei Hochhäuser. Auf der gegenüber liegenden Seite liegt eine Kleingartenkolonie. Beide befinden sich auf einer Anhöhe. Dem Spandauer Berg.
Bei näherem Betrachten werden Spuren aus der Vergangenheit sichtbar. Ein Gebäudeteil unterhalb der Parzellen ist der verbliebene Rest des einstigen Brauereiareals an dieser Stelle. Der Spandauerberg Brauerei. Deren Erzeugnisse hießen "Spandauer Bock". So wie eine der beiden Vergnügungsstätten, die sich nördlich und südlich des Spandauer Damms befanden.
Veranstaltungssaal und Vergnügungsangebote
Der Spandauer Bock war von den 40er-Jahren des 19.Jahrhunderts bis zum zweiten Weltkrieg ein legendäres Berliner Ausflugsziel. Wo heute die Hochhäuser stehen, war einst der eigentliche Bock, der vor allem aus einem riesigen Biergarten bestand. Gegenüber war die "Zibbe". Dort gab es auch einen Veranstaltungssaal und Vergnügungsangebote.
Der Spandauer Bock fand Erwähnung in Zeitungsartikeln, zeitgenössischen Berichten, Erinnerungen, auch in der Literatur. Was fehlte war eine Gesamtdarstellung. Sie hat jetzt Detlef Brennecke mit dem Buch "Der Spandauer Bock. Eine Berliner Lokal-Geschichte" geliefert. Seine Kernthese lautet: Das Werden, Wachsen und Vergehen dieser Lokalität spiegle Berliner und deutsche Geschichte.
Am Anfang steht Conrad Bechmann. Er wird 1801 in Pommersfelden nahe Bamberg geboren und lernt den Brauerberuf. 1840 zieht Conrad Bechmann nach Spandau und kauft die "Brauerei Spandau Königsbier Fredersdorfer" in der Mönchstraße 4. Im gleichen Jahr übernimmt er in Erbpacht ein Grundstück am Spandauer Berg, auf dem er zunächst Lager- und Eiskeller einrichtet. Es wird zum Geburtsort des Spandauer Bock. Dessen Beginn, zunächst als Ausschank, erfolgt zwei Jahre später.
Die Gegend befand sich damals ganz weit draußen. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hatte das Lokal schnell Zulauf. Das zeigte sich schon daran, dass bereits 1847 die "Zibbe" eröffnet wurde. Danach folgte die Brauerei. Dabei blieb der Weg für die Gäste lange beschwerlich. Zunächst war er nur über mehrere Kilometer zu Fuß zu erreichen.
Nach und nach näherten sich Pferdebahnen dem Bock. Ein wichtiger Durchbruch markiert das Jahr 1882, als eine von Werner Siemens konstruierte elektische Straßenbahn zum ersten Mal den Aufstieg zum Spandauer Berg bewältigte. Zunächst als Probebetrieb. Erst ab 1900 gab es diese Beförderung regelmäßig. Zu Hochzeiten pilgerten bis zu 20 000 Menschen an einem Tag zum Spandauer Berg. Wer keinen Platz fand, ließ sich auf den umliegenden Wiesen nieder.
Der Spandauer Bock war nicht zuletzt das Ziel oppositioneller Kreise. Sozialdemokraten hielten dort Versammlungen ab. Es gibt ein Foto des 1919 ermordeten Sozialisten Karl Liebknecht beim Besuch.
In den 1930er-Jahren änderte sich das. 1933 gab es im Bock, anders als auf der Zibbe, keinen Betrieb. Nach der Machtergreifung der Nazis hatte die SA dort einen Folterkeller eingerichtet. Die Jahre danach markierten nur den vorletzten Schritt einer schon zuvor eingesetzten Agonie. Das Ende kam dann durch mehrere alliierte Luftangriffe.
Conrad Bechmann starb 1881. Bereits 1865 hatte er seine Betriebe an zwei Söhne vererbt. 1885 wandelten die den Besitz in eine Aktiengesellschaft um. Auch danach entwickelten sich die Bilanzen lange Zeit weiter prächtig. Bedingt durch den ersten Weltkrieg kam es 1917 zur Übernahme durch die weitaus größere Schulheiß-Brauerei. Wenige Jahre später schloss der Bierproduktionsstandort am Spandauer Berg. Bock und Zibbe waren schon zuvor in die Jahre gekommen. Es gab inzwischen aufregendere Entertainment-Angebote, etwa den Lunapark am Halensee. Die Familiengeschichte der Bechmanns mit dem Spandauer Bock endete mit dem Tod der Söhne des Firmengründers. Beide hatten, soweit bekannt, keine Nachkommen.
Verwandtschaftliche Beziehungen
Dass der 1944 in Berlin geborene Autor des Buchs selbst eine verwandtschaftliche Verbindung zum Spandauer Bock hat, war diesem bis vor Kurzem gar nicht bewusst. Brennecke war Professor für Skandinavistik in Frankfurt am Main. Sein Urgroßvater Paul Brennecke war Anfang des 20. Jahrhunderts "Oekonom" im Spandauer Bock und ein weiterer Urgroßvater namens Hermann Knabe arbeitete als Maschinenmeister bei der Spandauerberg Brauerei. Erst als bei einem Gespräch mit seiner Patentante der Name Spandauer Bock fiel, sei er hellhörig geworden.
Bei seinen Nachforschungen landete er auch bei Karl-Heinz Bannasch, dem ersten Vorsitzenden der Heimatkundlichen Vereinigung Spandau. Er habe eigentlich kein weiteres Buch mehr verfassen wollen, erzählte Detlef Brennecke. Aber dann habe ihn diese Geschichte schon aus persönlichen Gründen gereizt. Es ist gut, dass er sie aufgeschrieben hat.
Detlef Brennecke, "Der Spandauer Bock. Eine Berliner Lokal-Geschichte" , 240 Seiten, 120 Abb., ISBN 978-3-86732-380-2, Lukas Verlag, 24,90 Euro.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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