Präventionsprojekt „Babybedenkzeit“ zeigt Jugendlichen den Alltag mit Kind
Wilhelmstadt. Teenager-Schwangerschaften sind nicht immer ungewollt. Manch sehr junges Mädchen wünscht sich ein Kind – ohne zu ahnen, was auf sie zukommt. Das Projekt „Babybedenkzeit“ vermittelt Jugendlichen ganz praktisch, was Elternschaft bedeutet: mit Babysimulatoren.
„Bitte sprechen Sie nicht von Puppen!“, sagt Projektleiterin Ullrike Bartz. Gar nicht so leicht, immer wieder rutscht das unerwünschte Wort heraus. Die Säuglingsmodelle in ihren pinken oder himmelblauen Stramplern ähneln den Lieblingen aus Kindertagen nun mal. Nur nicht im Gewicht. Überraschend schwer sind sie. „Die Simulatoren wiegen etwa so viel wie ein richtiges Baby“, erklärt die Erzieherin und fügt an, warum sie das gewisse Wort nicht mag. „Eine Puppe ist ein Spielzeug. Ums Spielen geht es in unserem Projekt aber gerade nicht.“ In der Tat hat das Präventionsprojekt einen viel zu ernsten Hintergrund. „Babybedenkzeit – ein Praktikum als Eltern“ heißt es und soll Teenagern zeigen, was es bedeutet, ein kleines Kind zu haben. Ein Baby, das nachts um Drei schreit und sich partout nicht beruhigen will. Das alle paar Stunden gefüttert, gewindelt, getröstet werden muss. Rund um die Uhr, jeden Tag.
Ullrike Bartz ist Ausbilderin im Kompetenzzentrum Babybedenkzeit – einem Projekt der Gesellschaft für Sport- und Jugendsozialarbeit (GSJ). Anlaufstelle ist der SportJugendclub Wildwuchs in der Götelstraße. Das Elternpraktikum mit den Babysimulatoren bietet die Erzieherin auch dort, in erster Linie aber in Spandauer Schulen an – für Mädchen und Jungen im Alter ab 14 Jahren. Sieben Modelle hat sie im Gepäck, wenn sie die Schulen besucht. Meist in den jährlichen Projektwochen. Jeweils vier bis fünf Tage dauert ihr Kurs. Wer mitmachen will, meldet sich freiwillig an.
Das Praktikum beginnt mit ein paar Lektionen zum Umgang mit einem Baby, dann wird gleich am Modell geübt. Die Simulatoren sind mit Chips ausgestattet, Ullrike Bartz kann sie per Computer programmieren: wie laut und wie lange sie schreien, wann sie neue Windeln oder ein Fläschchen brauchen. Über ein gechiptes Armband, das die Jugendlichen tragen, reagiert der Simulator. Kommt die Flasche an den Mund, hört das Greinen auf. Mal reicht auch ein sanftes Wiegen. Wenn sich die Praktikanten fit genug fühlen, nehmen sie ein „Baby“ mit nach Hause. Über Nacht. Statt friedlich durchzuschlafen, müssen sie nun alle paar Stunden füttern, Bäuerchen machen lassen und wickeln. Wie im echten Leben. In welchen Abständen sich die Simulatoren melden, kann Ullrike Bartz steuern. Sie wählt gern recht realistische.
„Ein Baby ist nicht nur niedlich und süß“, sagt sie. „Ich zeige, welch eine große Verantwortung es ist, ein Kind zu haben.“ Neben den Schlüsselkompetenzen im Versorgen eines Säuglings lernen ihre Praktikanten, was in der Schwangerschaft zu beachten ist. Wichtig vor allem für die Mädchen. 90 Prozent aller Kursteilnehmer sind weiblich. Anhand von drei speziellen Baby-Modellen zeigt die Erzieherin, wie sich Alkohol- oder Drogenkonsum der Mutter auf ihr Neugeborenes auswirken. Und wie schnell ein Säugling ein Schütteltrauma erleiden kann. Nicht zuletzt spricht sie mit den Jugendlichen darüber, was sie tun können, wenn sie sich als junge Eltern überfordert fühlen. Sie nennt Beratungs- und Anlaufstellen, auch das Thema Babyklappe ist kein Tabu.
„Die Babybedenkzeit ist ein fantastisches Projekt“, lobt Jugendstadtrat Gerhard Hanke (CDU). „So funktioniert Prävention.“ Er kenne genug Fälle aus dem Jugendamt, um zu wissen, wie wichtig diese Art der Aufklärung und Vorsorge ist, sagt Hanke. „40 Millionen Euro geben wir in Spandau jährlich für die Hilfen zur Erziehung aus. Könnten wir nur eine Million nutzen, um ein so sinnvolles Projekt flächendeckend anzubieten, würde die erste Zahl in absehbarer Zeit sinken.“
Der Stadtrat hat gerade 1300 Euro aus seinem Etat spendiert – für zwei Transportkoffer, die sich Ullrike Bartz schon lange gewünscht hat. Schließlich tourt sie mit den teuren Babysimulatoren durch ganz Spandau. Dank neuer Koffer kann sie die Modelle, die keine Puppen sind, nun sicher verstauen, von A nach B schaffen und sogar unterwegs aufladen.bm
Autor:Berit Müller aus Lichtenberg |
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