Ein Platz, ein Gelände und die Schatten der Vergangenheit
Gedenken an einem kontaminierten Ort
Am 15. August wird der Platz an der Einmündung Gatower- und Wilhelmstraße nach der „Weißen Rose“ benannt. Hier besteht dann, erstaunlicherweise, die erste Erinnerung an diese Gruppe von Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime im öffentlichen Raum in Berlin.
Entschieden hat das die Spandauer BVV. Grundlage dafür war ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen von SPD, Bündnis90/Die Grünen, Die Linke und FDP, der bereits aus dem Jahr 2018 stammt. Stefan Klingsöhr hat sich ebenfalls entschieden. Das neu errichtete Gebäude Wilhemstraße 23a soll ein Ärztehaus werden. Einem anderen Nutzer, der ein Auge auf dieses Objekt geworfen hatte, erteilte er eine klare Absage. Was das Gedenken an die Münchener Studenten um Hans und Sophie Scholl mit den Plänen eines Investors zu tun haben? Beides befindet sich zunächst in unmittelbarer Nachbarschaft. Der Platz liegt direkt vor dem Neubau. Ein weiterer Zusammenhang: Beim Interessenten, den Klingsöhr abwehrte, handelte es sich um die AfD. Die plante in der Immobilie ihre Bundes- und Landesgeschäftsstelle einrichten. Weder einen Kauf noch an eine Vermietung an diese Partei werde es geben, machte Stefan Klingsöhr deutlich. Das Begehren der AfD nach diesem Gebäude kann natürlich für bloßer Zufall gehalten werden. Weniger naiv gedacht aber auch nicht. Denn der Ort hat eine Vergangenheit. Die auch zur „Weißen Rose“ führt. Und zu dem, was dort seit einigen Jahren passiert.
Rudolf Heß nahm sich
im Gefängnis das Leben
Auf dem Gelände an der Wilhelmstraße befand sich einst ein 600 Zellen-Gefängnis. Es wurde in der Kaiserzeit errichtet, aber vor allem nach dem zweiten Weltkrieg weltbekannt. Denn hier saßen mehrere Naziverbrecher ein, die bei den Nürnberger Prozessen der Todesstrafe entgangen waren. Albert Speer, Baldur von Schirach, Rudolf Heß. Speer und Schirach kamen nach 20 Jahren Haft im Oktober 1966 frei. Für Heß bedeutete die bei den Kriegsverbrecherprozessen ausgesprochene lebenslange Gefängnisstrafe wirklich lebenslang. Dem Galgen war der „Stellvertreter des Führers“ nur durch seinen bis heute mysteriösen Flug nach Großbritannien im Mai 1941 entkommen. Dadurch konnte ihm in Nürnberg keine direkte Beteiligung am Holocaust nachgewiesen werden. Heß starb mit 93 Jahren, am 17. August 1987 durch Selbstmord im Spandauer Gefängnis.
Nach 1966 war er der letzte Häftling in dem Riesenbau. Seine lange Lebensdauer sorgte für eine bis kurz vor dem Epochenwechsel 1989 anhaltende Zusammenarbeit der vier Siegermächte des zweiten Weltkriegs an dieser Stelle. Gemeinsam oblag ihnen die Verantwortung für die Haftanstalt in der Wilhelmstraße. Wer zu dieser Zeit in der Wilhelmstadt wohnte, kann sich vielleicht noch an den zu jedem Monatsbeginn erfolgten Wachwechsel erinnern. Amerikaner, Sowjets, Briten und Franzosen lösten sich turnusmäßig bei dieser Aufgabe ab. Nach dem Tod von Heß wurde das Gefängnis abgerissen. Auf dem Gelände entstanden Büros und ein Einkaufszentrum. Es sollte keine Pilgerstätte für Ewiggestrige werden.
Bezirk feiert "Fest der Demokratie"
Das hat ziemlich lange einigermaßen funktioniert. Die Neonazi-Szene fiel stattdessen an jedem 17. August in das fränkische Wunsiedel ein, wo Heß begraben wurde. Seit einigen Jahren gibt es solche Aufmärsche aber auch regelmäßig an der Wilhelmstraße. Ihnen wurde zuletzt unter anderem mit einem „Fest der Demokratie“ entgegen getreten. Aus diesen Gegenveranstaltungen entwickelte sich auch die Idee für den Weiße Rose-Platz. Dass er zwei Tage vor dem ominösen Datum und seinen befürchteten Begleiterscheinungen eingeweiht werden soll, ist ebenfalls ein Zeichen.
Es stimmt, die Weiße Rose hat zunächst lokal nichts mit Spandau, auch nicht mit Berlin zu tun. Aber sie steht für eine der bekanntesten und wichtigsten Widerstandsgruppen im Dritten Reich. Und zumindest ihr Name ist weitgehend geläufig. Damit wird auch schnell klar, wer und warum hier geehrt wird. Und nichts spricht dagegen, hier auch die Idee einer darüber hinausgehenden Gedenk- und Erinnerungslandschaft weiter zu verfolgen, die die CDU während der Debatte ins Spiel gebracht hatte. Neben dem ehemaligen Gefängnis sollen dabei auch andere Orte in der Wilhelmstadt, etwa die Kasernen, mit einbezogen und deren Historie zusammen mit der Jugendgeschichtswerkstatt erarbeitet und dargestellt werden.
Gefängnis hat eine lange Tradition
Das würde auch ein tiefer gehendes Beschäftigen mit einem nicht nur für das Terrain der ehemaligen Haftanstalt geltenden kontaminierten Gelände bedeuten. Bevor Heß und andere Mittäter dort einsaßen, waren viele Zellen mit Nazigegnern belegt. Und bereits von Kaiser Wilhelm II. wird kolportiert, dass er bei missliebigem Verhalten mancher Untertanen gerne äußerte: „Den bringe ich auch noch nach Spandau“. Womit er nicht zuletzt das Gefängnis in der Wilhelmstadt meinte. Lange war die Vergangenheit auch hier kein besonderes Thema mehr. Erst der seit einigen Jahren veranstaltete Mummenschanz von Rechtsradikalen zwang zu einer erneuten Auseinandersetzung. Die wird geführt. In Form von Gegendemonstrationen, der Entscheidung eines Immobilieninvestors, mit dem Platz der Weißen Rose. Sie ist aber noch lange nicht zu Ende.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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