Parlamentarismus funktioniert auch unter extremen Bedingungen
Erste BVV-Sitzung der Corona-Krise
Nach der wegen der Corona-Krise abgesagten Sitzung im März tagten die Bezirksverordneten erstmals wieder regulär am 13. Mai – unter besonderen Bedingungen im Ernst-Reuter-Saal am Eichborndamm 215.
Erstmals in der Geschichte der Reinickendorfer Bezirksverordneten beginnt ein Besuch des Bezirksparlaments wie eine Visite im Deutschen Bundestag: Ohne Personalausweis kommt man nicht rein. Hintergrund dieser Regelung ist, dass mit der Identifizierung eines jeden Besuchers auch jede mögliche Corona-Infektion nachgewiesen werden kann, sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass einer der Teilnehmer der Sitzung infiziert war.
Platzzuweisung wie im Theater
Noch vor dem Betreten des Gebäudes kommt die Ausweiskontrolle. Die Mitarbeiterin am Empfang im Freien begrüßt freundlich. Zumindest klingt ihr Ton einladend, unter ihrer Maske scheint sie zu lächeln. Im Foyer gibt es eine zweite Kontrolle, bei einer ebenfalls freundlichen Mitarbeiterin, die nach dem Leisten einer Unterschrift dem Besucher den Platz mitteilt. In diesem Fall ist es 1.8, gemeint ist die erste Reihe im Rang, und dort der Platz acht, der mit einem gut sichtbaren laminierten Zettel markiert ist.
Ein wenig erinnert die Platzzuweisung an den Besuch eines Theaters, nur dass man hier wegen des Mindestabstandes keine direkten Sitznachbarn hat und alle zunächst maskiert sind. Nur wer sich auf seinem Platz niedergelassen hat, kann auch den Mund-Nase-Schutz abnehmen.
Wie eine Inszenierung
Die eigentliche Sitzung unterstreicht den Theatereindruck. Die Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung (BVV), Kerstin Köppen (CDU), die die ungewöhnliche Sitzung souverän und charmant leitet, thront auf der Bühne hinter einem mit Vorhangstoff verhüllten Tisch. An ebenso dekorierten Tischen sitzen in Richtung Parkett und Rang zwei Mitarbeiter des BVV-Büros, und davor wiederum die Mitglieder des Bezirksamtes.
Aus der Distanz des Rangs verschwimmen die Personen hinter den Tischen mit diesen zu einer optischen Einheit. Fast scheint es so, als säßen dort Schauspieler oder Tänzer in Kostümen, die auf den Beginn einer exotischen oder sehr avantgardistischen Inszenierung warten.
Rednerplut stetig desinfiziert
Das Tänzerische fließt auch in den parlamentarischen Sitzungsverlauf ein. Im Wechsel gehen die im Parkett verteilten Verordneten ans Rednerpult, oder nutzen das an einer Angel befestigte Mikrofon, das ihnen von einer Mitarbeiterin entgegen gehalten wird. So erinnert jeder zweite Redebeitrag ein wenig an einen Pas de deux, einen Tanz zu zweit. Das Mikrofon erhält nach jedem Beitrag einen neuen Überzug, das Rednerpult wird nach jedem Redner neu desinfiziert.
Trotz des theaterähnlichen Eindrucks findet hier ernsthafte parlamentarische Arbeit statt. Es wird argumentiert und widersprochen, nachgefragt und ergänzt. Das Coronavirus hat den Parlamentarismus äußerlich verändert und auch verlangsamt, verhindern kann es ihn nicht. Am Mittwoch, 10. Juni, wird es wieder eine Sitzung geben, und diese ist dann vielleicht sogar im Livestream bequem von zu Hause aus zu verfolgen.
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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