Tradition contra Moderne im Fischtal
Zehlendorf. Auf der Nordseite des Fischtalparks entstand 1928 eine Siedlung für den Mittelstand. Die Häuser waren als eine bevorzugte Wohnlage für Angestellte gedacht. Ein Beispiel dafür ist das Poelzig-Haus Am Fischtal 72 a – vom Bezirksamt zum Denkmal des Monats Oktober gewählt.
Die Versuchssiedlung Am Fischtalgrund ließ die Gagfah (Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Angestellten-Heimstätten) unter der Leitung von Heinrich Tessenow errichten. Er war einer der bedeutendsten Vertreter der Reformarchitektur, die sich zwar vom Historismus abwandte, aber an traditionellen Materialien und Bauweisen festhielt.
Typisch für die Häuser sind die geneigten Dächer und die parallel zur Straße verlaufenden Firste. Die meisten Fassaden sind hell verputzt. Knie- bis mannshohe Mauern verbinden die Häuser und trennen die privaten Gärten von den zur Straße offenen Rasenflächen. Merkmal Nummer 1 aber ist das Satteldach.
Im Kontrast dazu standen die Häuser gegenüber dem Fischtalpark, zur gleichen Zeit von der Gehag (Gemeinnützige Heimstätten-, Spar- und Bau-Aktiengesellschaft) erbaut. Unter der Leitung von Bruno Taut, Hugo Häring und Otto Rudolf von Salvisberg entstand die avantgardistisch orientierte Onkel-Tom-Siedlung mit farbintensiven Fassaden und Flachdächern.
Damit begann der legendäre Zehlendorfer Dächerkrieg: Spitzdach gegen Flachdach, Tradition contra Moderne. Die Dachform wurde zum Synonym für unterschiedliche Erwartungshaltungen. Das Satteldach stand für die Sehnsucht nach Geborgenheit, aber auch für flächenverschwendendes Bauen in einer Zeit der Wohnungsnot, das Flachdach hingegen für Fortschritt und Aufgeschlossenheit.
Trotz des Siedlungsthemas wurden die Gagfah-Häuser zu Unikaten mit variierenden Formen und Größen und einer freien Grundrissgestaltung. Das gilt auch für das Doppelhaus des Architekten Hans Poelzig. Setzte er zuvor auf avantgardistisches Bauen, realisierte er im Fischtalgrund konservative Forderungen. Er bewies jedoch auch, dass die Vorgaben zu Materialien und Dachform nicht zwangsläufig Heimatstil bedeuten müssen, sondern auch Raum für Kreativität und Eigenständigkeit. So sind am Poelzig-Haus klare Linien, horizontal gereihte Fenster und durch Klinker betonte Konturen zu finden.
Die rechte Hälfte des Doppelhauses ist jetzt originalgetreu saniert und zeigt sich als ureigener Poelzig. Nach diversen Veränderungen in der Vergangenheit sind die ursprünglichen Details wieder zu sehen.
Jörg Rüter, Denkmalschutzbehörde/uma
Autor:Ulrike Martin aus Neukölln |
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