„Kein Mensch kann mich kopieren“
Nach 45 Jahren geht Bali-Chefin Helgard Gammert in den Ruhestand und blickt zurück
„Ich liebe dieses Kino, wirklich“, sagt Helgard Gammert. Und das glaubt man ihr aufs Wort. Sie bekommt leuchtende Augen und strahlt, wenn sie von „ihrem“ Kino erzählt. 45 Jahre ist das Bali-Kino in ihrer Hand. Jetzt ist die Zeit gekommen, um Abschied zu nehmen.
Bali heißt eigentlich Bahnhofslichtspiele. In den 1920er-Jahren wurde der Saal als Tanzpalast genutzt, seit 1946 ist er ohne Unterbrechung ein Kino. In den 1970er-Jahren war es das führende politische Kino in Deutschland. Auch Helgard Gammert machte politisches Kino. Allerdings in einem kommunalen Kino in Mannheim. Als der damalige Bali-Besitzer nach Mannheim kam und ihr das Angebot machte, sein Kino zu kaufen, musste sie nicht lange überlegen. „Ich dachte, das ist meine Chance. Ich kann unabhängig und frei sein, keiner quatscht mir rein“, erinnert sich Gammert an den Anfang. Aber so einfach war es nicht, ihr Programm mit politischen Filmen in Zehlendorf zu etablieren. „Ich war zu links. Das kam in Zehlendorf nicht an“, erzählt sie lachend. Die Eltern zogen ihre Kinder am Kino vorbei, weil es nicht chic genug war, das Bezirksamt verweigerte die Zusammenarbeit. „Ich stand vor zerbrochenen Träumen.“ Aber aufgeben kam für sie nicht in Frage. „Ich wollte Kino machen und die Menschen erreichen“, sagt sie. Und letztlich habe sie es geschafft. Zunächst mit einem ausgewählten Kinderprogramm, bei dem auch alte Kinderfilme wie „Emil und Detektive“ gezeigt wurden. Da kamen dann auch schon mal die Großeltern mit ihren Enkeln ins Kino, um die Filme ihrer Kindheit noch einmal zu sehen. Auf diese Weise hatte sie die Leute auch für das Abendprogramm gewinnen können. Als dann endlich alles lief, kam die nächste Hürde: Die Potsdamer-Platz-Kinos machten auf und das Bali blieb wieder leer.
Doch auch das war für Helgard Gammert kein Grund aufzugeben. Sie war bereit, sich der Konkurrenz zu stellen. Das bedeutete übrigens nicht nur, sich gegen die modernen Multiplex-Kinos zu behaupten. „In Zehlendorf Kino zu machen, heißt auch mit Philharmonie und Schaubühne zu konkurrieren.“ Sie musste sich etwas einfallen lassen, um mit ihrem Kino überleben zu können. Sie hatte viel ausprobiert, nicht alles funktionierte gut. Mit großer Leidenschaft und einem ausgewählten gehobenen Programm schaffte sie es schließlich, die Leute an das Bali zu binden. Bis heute sind die Themenabende, Länderprogramme, Filmnächte und kleine Filmfestivals bei ihrem Publikum beliebt. Für ihre außergewöhnlichen Programme heimst sie Jahr für Jahr Preise und Auszeichnungen ein.
Wenn Helgard Gammert auf die 45 Bali-Jahre zurückschaut, kann sie sagen, dass es nie langweilig war. „Ich habe meine Entscheidung, das Bali zu kaufen, nie bereut“, sagt sie. Sie musste zwar immer um das Kino kämpfen und hat nie aufgehört, sich darum zu sorgen, aber sie hat soviel Zuspruch und positive Resonanz bekommen und „tolle Erlebnisse“ gehabt. Nach den schönsten und bemerkenswerten Erlebnissen befragt, fällt ihr sofort der Gottesdienst im Kino ein. Der Pfarrer der benachbarten Kirchengemeinde hatte die Idee. Es habe sie sehr berührt, als in ihrem Kino das Vaterunser gesprochen wurde. Das kann Kino auch. Beeindruckt war sie von der Unterstützung der Kinofreunde während Corona. „Als das Kino geschlossen bleiben musste, wurden viele Freikarten gekauft. Das hat das Bali gerettet.“
Auch der Umstieg auf die digitale Technik war ein besonderer Schritt. Früher mussten die schweren 35mm-Filmrollen mit viel Aufwand und Kraft eingelegt und umgespult werden. Heute geht alles per Knopfdruck und ist eine enorme Erleichterung. Auch wenn sie sich anfangs gegen die digitale Technik gewehrt hatte – inzwischen hat sie ihren Frieden damit geschlossen.
Der Nachfolger für das Bali steht schon in den Startlöchern. Auch er sei ein absoluter Filmfan und hatte das kleine Kino schon seit geraumer Zeit im Auge. „Er will explizit das Bali. Auch das haben wir gemeinsam“, sagt Gammert, denn für ein anderes Kino wäre sie nie nach Berlin gekommen. Es war der Charme des Kinos, der es ihr angetan hatte und den das Bali noch heute verströmt. „Es ist die Einfachheit, die das Kino so liebenswert macht.“ Und es sind die Dinge, die es in großen Kinos nicht mehr gibt. Ihr ganzer Stolz ist zum Beispiel die große Wand mit alten Filmplakaten. Und auch das ist charakteristisch für das Bali: Es gibt kein Popcorn. Gammerts Leitspruch: „Wer Popcorn will, muss woanders hingehen. Ich biete Filme und kein Popcorn“. Was der neue Besitzer aus dem Bali macht, entscheidet er selbst und es wird sich sicher etwas ändern. „Kein Mensch kann mich kopieren“, betont die 80-Jährige.
Bevor sie am 30. Juni geht, verabschiedet sie sich mit einer besonderen Filmreihe. Den ganzen Juni lang werden im Bali Filme gezeigt, die Helgard Gammert selbst besonders geschätzt hat und die sie wichtig findet. „Das wird ein Gammert-Monat und ich freu mich drauf.“
Bali-Kino, Teltower Damm 33, www.balikino-berlin.de
Autor:Karla Rabe aus Steglitz |
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