100 Jahre Groß-Berlin: Stimmen von Politikern und Honoratioren
Die grüne Landgemeinde und Groß-Berlin

Der Dorfanger mit Teich und noch ohne Rathaus in den 1920er-Jahren.  | Foto: Heimatverein Zehlendorf
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  • Der Dorfanger mit Teich und noch ohne Rathaus in den 1920er-Jahren.
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Der 1. Oktober 1920 war für viele Zehlendorfer ein Unglückstag. Sie wollten nicht nach Groß-Berlin eingemeindet werden, weder ihre Selbstständigkeit verlieren, noch die Arbeiterbezirke der Großstadt mitfinanzieren. Der „Zehlendorfer Anzeiger“ brachte zwei Wochen nach der Eingemeindung eine Sonderbeilage heraus. Der wehmütige Titel: „Erinnerung an Alt-Zehlendorf“. In epischer Breite äußerten Politiker und andere Honoratioren ihre Meinung.

So schrieb Bürgermeister Dr. Hugo Köster: „Man kann die Wendung der Dinge nur beklagen. Es war bisher der Stolz der Gemeindekörperschaften, die Heimatgemeinde zur Entwicklung und zur Ausgestaltung zu bringen.“ Dies sei jetzt nicht mehr möglich, für größere Maßnahmen bedürfe es der Zustimmung der Stadt Berlin. Der Gemeindeschöffe Dr. von Seefeld beschrieb Zehlendorf als „Dorf“ von 20 000 Einwohnern, „mit wohlgepflegten Verkehrsverbindungen, schmucken Straßen und Plätzen, einem vielseitigen, musterhaften Schulwesen.“ Jetzt gehe Zehlendorf über in die neue Stadtgemeinde Berlin, um mit drei Nachbargemeinden ein „Bezirk“ unter zwanzig zu werden. „Möge es der neuen Verwaltung gelingen, unter schwierigen Verhältnissen die Eigenarten des ,grünen Dorfes‘ zu pflegen“, hoffte von Seefeld.

Der Beigeordnete Rohde sah das Ganze gelassener und lieferte ein Gedicht: „In wenig Jahren wird es anders sein; Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet, Es gibt zuletzt doch noch ‚nen Wein.“ Gemeindeschöffe Matern, Vorsitzender der SPD, begrüßte hingegen die Eingemeindung mit den Worten: „Dem Vergangenen weine ich keine Träne nach. Meine Hoffnung ist das neue große Berlin, das alle Volkskreise zu gemeinsamer Arbeit fürs allgemeine Wohl heranziehen wird.“

Große Verluste für den Kreis Teltow

Die Landgemeinde Zehlendorf wurde 1872 gegründet. Sie gehörte mit den Gemeinden Nikolassee und Teltow ebenso zum Kreis Teltow wie die Gutsbezirke Dahlem, Klein Glienicke, Pfaueninsel und Potsdam Forst. Insgesamt gab es 25 Gemeinden und neun Gutsbezirke im Kreis. Was die Eingemeindung bedeutete, erklärt Klaus-Peter Laschinsky, langjähriger Vorsitzender des Heimatvereins Zehlendorf. „Der Kreis Teltow verlor 4 227 000 Einwohner, das waren 78,8 Prozent der Gesamtbevölkerung, und 32 780 Hektar Fläche, was 20,2 Prozent des Gesamtgebietes entsprach.“ Die Folge: Es gab 90 Prozent weniger Steuereinnahmen. „Die Zeit als steuerkräftigster und bevölkerungsreichster Kreis in Preußen war damit vorbei“, erläutert Laschinsky.

Und was kam nach der Eingemeindung? Wie sollte der neue Bezirk verwaltet werden? Durch den Zusammenschluss von Zehlendorf, Nikolassee, Wannsee und Dahlem war ein Gebiet entstanden, das von der Glienicker Brücke bis nach Dahlem 17 Kilometer maß und über 55 Quadratmeter umfasste. Im Band „Zehlendorf“ des Verwaltungsberichts der Stadt Berlin 1920-1924 ist zu lesen: „Eine große Erschwerung des Dienstbetriebs und eine nicht unbeträchtliche Verteuerung der Verwaltung bedeutete das Fehlen eines Verwaltungsgebäudes.“ Das Rathaus am heutigen Teltower Damm wurde erst 1929 fertiggestellt. Es galt also zu improvisieren. Das Bezirksamt musste seine Dienststellen in zehn verschiedenen Gebäuden unterbringen. Auch mit der Ausstattung der Geschäftsräume war es schlecht bestellt. Die Mittel waren äußerst begrenzt. Nur mit Hilfe der Rathausverwaltung des Magistrats von Groß-Berlin konnte das Mobiliar beschafft werden.

Und dann gab es da noch die psychologische Komponente – nach wie vor standen große Teile der Bevölkerung Zehlendorfs dem neuen Groß-Berlin ablehnend gegenüber. Dazu gibt es eine Anekdote aus Christian Simons Buch „Zehlendorf. Zwischen Idylle und Metropole“: „Als am 9. November 1923 ein Ausschuss des Landtages eine Busrundfahrt durch die eingemeindeten ehemaligen Gemeinden des Kreises Teltow unternahm, wurden sie in Nikolassee von Demonstranten empfangen. Sie hielten Schilder hoch mit Losungen wie ,Los von Berlin!‘ Die Parlamentarier waren schockiert und wiesen einen Gendarmen an, die Plakate zu konfiszieren.“

Autor:

Ulrike Martin aus Neukölln

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