Rettungsstelle für Haushaltswaren: Zu Besuch im Repaircafé
Charlottenburg. Der Toaster spinnt, der Wecker schweigt, ein kaputtes Centteil ist Schuld. Wegschmeißen? Bloß nicht! Im Repaircafé des Kiezbündnisses Klausenerplatz basteln Schraubendreherkünstler selbst manch hoffnungslosen Fall wieder fit. Erfolgsquote: 50 Prozent.
In einem tristen Flur in einem unscheinbaren Haus bietet sich das gleiche Bild wie in Arztwartezimmern zur Grippezeit: Man sitzt Schulter an Schulter. Man blickt zu Boden, demonstriert feierlichen Ernst. Im Schoß liegt der Sorgenfall in knittrigen Plastiktüten. Das geliebte Mistding, das im jetzigen Zustand dem Sperrmüll näher ist als dem Küchenregal. Der Toaster, die Uhr, die Lampe. Das Alltäglichste, was im unmöglichsten Moment einfach kaputt ging.
Ältere Geräte haben mehr Chancen
Wer dran ist mit dem Rettungsversuch, den ruft Klaus Betz herein. Besser bekannt als Vorsitzender des Kiezbündnisses Klausenerplatz, steuert dieser Mann an jedem ersten Donnerstag im Monat den Andrang beim Repaircafé in der Sophie-Charlotten-Straße 30. Wo sonst Neubürger deutsche Vokabeln pauken, nestelt dann ein halbes Dutzend Herren im Innersten von wegwurfreifen Dingen.
„Die Leute kommen einfach her mit ihren kaputten Geräten. Und wir organisieren ihnen vier bis sechs handwerklich versierte Helfer“, beschreibt Betz das Prinzip. Streikende Küchengeräte, Unterhaltungselektronik, Haushaltswaren – prinzipiell lässt sich immer ein Rettungsversuch starten. „Bei älteren Geräten ist die Erfolgsaussicht viel höher, weil man da noch gut schrauben kann“, betont der Mann am Einlass in den Saal der Technikheiler.
Mit Chirurgenmiene stochern hinter ihm vier Herren unter den Verkleidungen herum, erneuern, was die Zeit zerschlissen hat. Igor Gabert brütet gerade über einer Tischlampe, die sich wunderbar ans Holz klemmen lässt, aber leider nicht leuchtet. „Mein Physiklehrer sagte immer: Elektrik ist eine Mischung aus Aberglaube und Besenbinderei“, raunt Gabert. „Ich glaube, er hatte Recht.“ In dem Moment leuchtet die Birne der Lampe wieder auf – nur auf die Dimmfunktion wird die Besitzerin nach der Operation verzichten müssen. Doch sie macht ein Gesicht, als habe ein Tierarzt ihren Schoßhund gesund gepflegt. Fast von Anbeginn des Repaircafés gehört Gabert, eigentlich Taxifahrer, zum Stamm der Schrauber. Seine Erfolgsquote benennt er mit sagenhaften 50 Prozent. „Manchmal kann ich am Ende nur staunen. Da geht das Gerät. Und ich weiß nicht, warum.“
Manchmal ist es Selbstheilung
Selbstheilung ist ein Wunder, das auch Ingo Junge am Nachbartisch immer wieder bezeugt: „Manchmal brauchen Geräte nur ein bisschen Zuneigung. Beim Zerlegen und Zusammensetzen kann ein Wackelkontakt plötzlich verschwinden.“ Junge, seines Zeichens Berufsschullehrer, hat es heute mit einem besonderen Stück zu tun. Besonders ist der Radiowecker natürlich nur in den Augen von Uwe Jöckel, der ihn Mitte der 70er-Jahre gekauft hat. „Mein erstes Lehrlingsgehalt ging dafür drauf“, nennt er den Grund für die Verbundenheit. „Es ist ein Herzensding.“ Nun sind Musik und Weckfunktion nach 40 Jahren immer schwerer in Einklang zu bringen. Da lässt Uwe Jöckel Junge mal schauen, guckt ihm beim Nesteln unter der Kunststoffhülle zu.
Und so entsteht die typische Konstellation: Auf der einen Seite des Tisches sitzt die Hoffnung auf Rettung. Auf der anderen waltet der Helfergeist von Sanitätern am Schraubendreher. Bangen um ein liebgewonnenes Objekt hier. Stoische Miene dort. Manchmal hilft ein neues Netzteil oder ein Spritzer Kontaktspray. Manchmal eine neue Sicherung. Manchmal Selbstheilung.
Bekannt bis Brasilien
Längst sind Repaircafés in nahezu allen Bezirken Normalität. In anderen Teilen Deutschlands und der Welt gelten sie als Innovation. Letztens feierte die größte brasilianische Zeitung „O Globo“ diese Heimwerkerbewegung als Abkehr von der Wegwerfgesellschaft. Und recherchierte dafür beim Repaircafé des Kiezbündnisses, wo zwei Jahre nach der Gründung über 400 Rettungsversuche im Protokoll stehen.
Igor Gabert hatte kaum mitbekommen, dass die Reporterin mit am Tisch saß, so vertieft war er in sein Werk. Jetzt ist sein Name in Sao Paulo bekannter als in der Sophie-Charlotten-Staße.
Solch ein Ruhm wird freilich nicht allen Tüftlern zuteil. Die Dankbarkeit der Besucher, das ist für Hartmut Kästner Ansporn und Währung zugleich. „Sie sind mein Held!“, ruft eine Dame namens Dorothee. „Sie haben tolle Fähigkeiten!“
Kästners Fähigkeiten bestanden darin, dass er soeben ein Kunststoffteil von der Größe eines kleinen Zehnagels als Störenfried entlarvte. Dieses Centteil sorgte dafür, dass Dorethee die Tür ihrer Mikrowelle nicht mehr richtig schließen konnte und sie deshalb nicht lief. Kästner bastelte ihr in Minutenschnelle Ersatz. Und die Mikrowelle? Sie summt.
Jetzt könnte Kästner darin seinen Kaffee wärmen – ihn gibt es im Repaircafé nämlich kostenlos. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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