Kaum eine Woche ohne neue Episoden vom Flughafen-Desaster
Am Willy-Brandt-Platz herrscht Stille. Und obwohl die elegante gläserne Stirn des Flughafens "Berlin Brandenburg International" den Eindruck von Unfertigkeit vermeidet, finden sich im Schnee mehr Kaninchenspuren als Abdrücke von Schuhen. Das modernste Terminal Europas liegt brach. Im Inneren läuft die Fehlersuche. Sprich: eine Bestimmung dessen, was man ändern muss, damit alles im Jahr 2014 vorschriftsmäßig funktioniert. Frühestens. Mit jedem Monat ohne BER entgehen allein der Fluggesellschaft Air Berlin etwa fünf Millionen Euro. Gepäckbänder leiern, nur der Instandhaltung halber, ohne Koffer. Leere S-Bahnen verwirbeln die Luft im Schacht nur, damit kein Schimmel entsteht. Das einzige Verkehrsmittel, das derzeit Passagiere befördert, ist ein Bus. Einmal stündlich steuert die Linie 734 den Willy-Brandt-Platz an, karrt hauptsächlich Bauarbeiter vor das Pförtnerhäuschen. "Warten wir mal ab bis zum Sommer", unkt ein Fahrer. "Das wäre doch eine Attraktion für Touristen."
Mit voller Wucht gegen die Wand
"Ein einmaliges Desaster" nennt das Geschehen jemand, der sich auskennt. Dieter Faulenbach da Costa, bei internationalen Flughafenprojekten als Fachmann bewährt, sieht im Fall des BER Versäumnisse seit Anbeginn der Planung. "Das Projekt wurde von den Verantwortlichen mit voller Wucht gegen die Wand gefahren", behauptet der Architekt. Wie man über Jahre hinweg an den Vorgaben vorbeikonstruieren konnte, sei ihm unerklärlich. "Jeder normale Bau wäre längst stillgelegt worden." In Anbetracht dessen hält Faulenbach da Costa nun vieles für möglich - bis hin zur Abkehr vom Konzept, den Flugbetrieb an einem Standort zu konzentrieren. Ausschließen müsse man nur eines: Denkverbote.
Während die Verantwortlichen um Lösungen ringen, fliegt Berlin einfach ohne "Willy Brandt" - dank des intakten Schönefelder Altflughafens, vor allem aber dank Tegel. Obwohl dort inzwischen 18 Millionen Passagieren jährlich über die Fluggastbrücken drängen, scheinen sie sich nicht unwohl zu fühlen. Genau wie die Händler. "Eigentlich möchte hier niemand weg", sagt eine Koffer-Verkäuferin. Wie es auch immer weitergehen mag: Solange hinter dem angegrauten Tower Flugzeuge in den Himmel steigen, so lange bleibt ihr kleiner Koffer-Shop dem Flughafen "Otto Lilienthal" treu.
Unspektakulär, zuverlässig, effizient
"Soll mir recht sein, wenn Tegel offen bleibt", brummt Passagier Till Langner. "Ich weiß den kurzen Anfahrtsweg und das schnelle Einchecken zu schätzen." Das Sechzigerjahre-Sechseck, ein Flughafen um des Fliegens willen, statt für den Einkaufsbummel, ist für Menschen wie Langner ideal. Morgens schnell am Gate, mittags beim Geschäftstermin in einer westdeutschen Stadt, zurück in Tegel und mit dem Expressbus TXL ruckzuck am Alex. Unspektakulär, zuverlässig, effizient. "Es kann so bleiben wie es ist", bekräftigt Langner. Dann zieht er seinen Rollkoffer davon.
Wer etwas dagegenhaben dürfte, lässt sich auf der neuen Internetseite erahnen, mit deren Hilfe die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Bürger nach Lärmquellen befragt: www.leises.berlin.de. "Hier ist es so laut, dass sogar die Dachziegel flüchten", beklagt auf der Seite ein Internetnutzer die Krachkaskaden im Nordwesten. Seine dringende Handlungsempfehlung steht auch dabei: "BER eröffnen!" Einige Einträge später geht ein anderer Lärmmelder noch weiter. Er fordert die Verlegung des Flughafens nach Sperenberg. Bis heute gilt die ehemalige sowjetische Fliegerpiste 50 Kilometer vor den Toren der Stadt vielen als besserer Ort für den Hauptstadtflughafen. Auch jetzt, da 4,2 Milliarden Euro am Standort Schönefeld in Beton gegossen stehen, setzt der Bürgerverein Berlin-Brandenburg auf Sperenberg. "Es führt gar kein Weg daran vorbei", sagt Sprecher Kristian-Peter Stange. Der BER sei "das falsche Projekt am falschen Standort mit dem falschen Personal". Sperenberg wäre für einen Nachtflugbetrieb geeignet und somit aus Sicht von privaten Investoren rentabel. Für Schönefeld sprechen aus Stanges Sicht nur die schon geleisteten Zahlungen. "Man darf schlechtem Geld aber kein gutes hinterherwerfen", warnt er. Sechs bis acht Milliarden Euro - geplant waren einst 1,7 Milliarden - dürften letztlich auf der Rechnung stehen, befürchtet Stange. "Das Geld des Steuerzahlers."
nd bis dahin?
Zehn weitere Jahre bräuchte es, wenn man noch einmal bei Null losplanen würde, mit einer Umnutzung des unvollendeten BER und einem besseren Konzept zum Fliegen. Und bis dahin? Zehn weitere Jahre Krach rund um Tegel. Wohl dem, der davon nichts mitbekommt. So wie Afrat und Richard aus Paris - frisch gelandet in Berlin und wie immer angetan vom Flughafen der kurzen Wege.
"Was geschieht eigentlich mit Tegel, wenn der andere öffnet?", fragt Richard. Und runzelt dann die Stirn, als er von der geplanten Schließung erfährt. Ein einziger Flughafen für eine Weltstadt, das kann man einem Pariser Liebespaar nicht erklären.
Flughafen-Debakel erregt Unmut
Großteil steht dem BER-Projekt kritisch gegenüber
Auf die Frage, ob man auf den neuen Großflughafen in Schönefeld verzichten könne, haben 68 Prozent der Teilnehmer unserer Leserumfrage mit Ja geantwortet. Die schlechten Nachrichten von der Flughafenbaustelle haben nicht nur Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Sympathiepunkte und den Posten als Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft gekostet. Auch das BER-Projekt als solches stößt offenbar bei vielen Bürgern auf Ablehnung. Nun deutet die Bewilligung von mindesten zehn Millionen Euro zur Ertüchtigung des Flughafens Tegel darauf hin, dass dieser auf unabsehbare Zeit in Betrieb bleiben wird - zum Leidwesen der Anwohner.
"Das kann so nicht hingenommen werden", protestiert Johannes Hauenstein von der Bürgerinitiative "Spandauer Süden gegen Fluglärm" und verweist auf Sicherheitsrisiken durch den verstärkten Flugverkehr im Berliner Norden. Oft würden Tankstellen und Schulen tief überflogen. Und der Bürgerverein Brandenburg-Berlin hält an seiner Forderung fest, das Projekt BER am Standort Sperenberg neu anzusetzen. Sprecher Kristian-Peter Stange verlangt von den Verantwortlichen, "die Karten auf den Tisch zu legen, einen Kassensturz zu machen und eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Untersuchung zu beauftragen".
Den Beschluss zum Bau des Großflughafens am Standort Schönefeld fassten Bund, Berlin und Brandenburg am 28. Mai 1996. Ziel war die Eröffnung im Jahr 2007. Nachdem zwei Versuche, den Flughafen zu privatisieren, gescheitert waren, entschieden sich die drei staatlichen Gesellschafter, ihn in Eigenregie zu errichten. Doch erst am 5. September 2006 begann der Bau. Zuvor war eine Klage von rund 4000 Bürgern vor dem Bundesverwaltungsgericht gescheitert. Der inzwischen auf den 30. Oktober 2011 gelegte Eröffnungstermin war nicht mehr zu halten. Jetzt nannte der Aufsichtsrat den 3. Juni 2012. Knapp einen Monat vor diesem Tag scheiterte der Plan abermals - wegen Schwierigkeiten beim Brandschutz. Das tatsächliche Ausmaß der Probleme zeichnete sich ab, als man das nächste Startdatum, 17. März 2013, ebenfalls verwerfen musste.
Am 6. Januar wurde nun bestätigt, dass nicht einmal der 27. Oktober zu halten sei. Die finanziellen und planerischen Folgen sind noch nicht abzusehen.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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