Mieter sollen raus: Investor will drei Wohnhäuser abreißen und durch neue ersetzen
Charlottenburg. Es sind drei nüchterne Nachkriegsbauten, die für etwa 100 Menschen Heimat bedeuten. Jetzt will der Investor Diamona & Harnisch die Häuser im Kiez an der Kantstraße entmieten, abreißen und neu errichten. Doch der Protest wird immer lauter – auch weil die Existenz einer Schule auf dem Spiel steht.
Dies ist eine Geschichte mit drei Sichtweisen. Und sie handelt von drei Häusern, die möglicherweise bald aus dem Stadtbild verschwinden werden, die Raum schaffen für drei andere, moderne, geräumigere – und teurere. Völlig legal.
Es begann damit, dass die Immobilienfirma Diamona & Harnisch die 50er-Jahre-Mietshäuser Pestalozzistraße 97, Schlüterstraße 18 und Wielandstraße 50 erwarb. Und Überlegungen anstellte, wie sie mit ihrem Eigentum verfahren will. Auf dem Tisch liegt nun der Plan, eine Aufwertung zu erzielen durch Abriss der vorhandenen Bauten und Errichtung von neuen. „Bisher gibt es für die Bauarbeiten noch keine endgültige Planung. Sie werden aber nach heutigem Stand frühestens Anfang 2018 beginnen“, erklärte Geschäftsführer Alexander Harnisch der Berliner Woche.
Suche nach „sozialverträglichen Lösungen“
Zeit genug, um für die jetzigen Mieter eine Alternative zu finden? Diamona & Harnisch verspricht jedenfalls, bei der Suche nach Ersatzwohnungen behilflich zu sein und auch den Umzug zu bezahlen. Man habe der Mieterschaft in allen betroffenen Wohnungen „sozialverträgliche Lösungen“ angeboten und sei zum Teil auf Akzeptanz gestoßen. Auch einen Zuschlag für die womöglich teureren Mieten in der Ausweichwohnung will die Firma zahlen. „Vier Mieter aus der Pestalozzistraße haben diese Angebote bereits angenommen“, versichert Harnisch. Neben der rechtlichen Ebene zählt für ihn auch der städtebauliche Nutzen. So soll die Gesamtzahl der Wohnungen durch das Neubauvorhaben von 37 auf 51 wachsen. In der Schlüter- und Wielandstraße sei der Zustand der Bestandsbauten so schlecht, dass eine Sanierung teurer wäre als der Neubau.
Lichtenberg Kolleg muss raus
So gesehen bewegt sich das Handeln des Investors im Rahmen der Gesetze. Doch diese Sichtweise kollidiert mit derjenigen, die das Umzugsangebot nicht annehmen wollen. Besonders kritisch äußert sich das Lichtenberg Kolleg – eine Privatschule, die in der Pestalozzistraße 97 zwei Stockwerke nutzt. Dass sie plötzlich eine neue Bleibe braucht, stellt aus Sicht des Lehrers Ralph Thomas Kappler den Betrieb in Frage. Er spricht von Verdrängung und vertritt diejenigen, die Angst haben, dass Charlottenburg für sie zu teuer wird. „Die Mieter stehen unter Stress und haben Angst“, erklärt Kappler. „Wir sind um den Kiez und um das Fortbestehen unserer Schule, die Gewährleistung des gewohnten Schulbetriebes, sehr besorgt.“ Zuletzt sei es nicht möglich gewesen, mit dem Investor zu einer Lösung zu kommen oder auch nur zu einem konstruktiven Gespräch. Und die Gefahr einer kurzfristigen Kündigung sieht Kappler im Wachsen begriffen. „Dabei sind wir mehr als eine Schule. Wir sind ein Stück des Kiezes und gehören zu Charlottenburg.“
Nach Aussage von Schulleiter Hans-Werner Wilz erlaubt es der laufende Mietvertrag, die Einrichtung mit einer Frist von sechs Monaten vor die Tür zu setzen. Ein Neustart an einem anderen Ort sei aber eine Frage von Jahren. „Wir müssen unsere Existenz als Privatschule selbst erwirtschaften und kosten den Steuerzahler keinen Pfennig“, hält Wilz dem Kolleg zugute. Seine Einrichtung vereint zwei Bildungszweige unter einem Dach: den Mittleren Schulabschluss und Abiturbereich sowie den Fachbereich für Deutsch als Fremdsprache. Selbst junge Diplomaten drücken in der Pestalozzistraße 97 die Schulbank, wobei die Lage des Hauses in der City West, nahe an ihren Einrichtungen, als Anreiz gilt. Ob sie der Schule in einen anderen Teil Berlins folgen würden?
Hilferuf an die Politik
Der Hilferuf des Kollegs findet jedenfalls bei immer mehr Entscheidern Gehör. SPD-Bundestagsaspirant Tim Renner, Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), die Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung befassen sich mit dem Fall, suchen nach einer Lösung. Derweil teilte Alexander Harnisch der Berliner Woche mit, insbesondere für das Lichtenberg-Kolleg eine Alternative zu suchen.
Alternativen zum Plan des Investors möchte hingegen das Bezirksamt verwirklicht sehen. Doch die Gesetzeslage lässt dies offenbar nicht zu. Und dies ist die dritte Sichtweise in dieser Geschichte. Gleich drei Stadträte versuchen seit Wochen, eine Linie zu finden, zwischen dem Recht des Eigentümers und dem Unrechtsempfinden der Mieter.
Zweckentfremdung?
„Völlig daneben dieses Projekt. Aber wir kommen hier nicht voran“, bedauert Oliver Schruoffeneger (Grüne), Stadtrat für Stadtentwicklung. Zum Einschreiten mit Mitteln des Baurechts fehlen ihm die Hebel, auch wenn der Wille da sei. Gerade die Tatsache, dass mehr Wohnungen entstehen als vernichtet werden, sei schwer anzufechten. Am ehesten könnte wohl Stadtratskollege Arne Herz (CDU) eine Handhabe finden. Er verantwortet die Überprüfung, inwiefern beim Abriss von intakten Wohnhäusern eine illegale Zweckentfremdung vorliegt. „Der Fachbereich Wohnen befindet sich in Gesprächen mit dem Eigentümer Ihres Hauses“, ließ Herz den Bewohnern und Nutzern mitteilen. „Es wurden bereits zu allen drei Gebäuden Amtsverfahren eingeleitet.“ Das Ergebnis war zuletzt offen. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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