Im Frauenladen gelingt der Schulabschluss doch noch
Schulzeit ist Wechselzeit. Und Samantha hatte mit 14 einfach anderes im Sinn als Algebra, Gedichtinterpretation oder englische Vokabeln. Aber alle sieben Jahre pflegen sich Menschen bekanntlich zu verwandeln. Jetzt ist Samantha 21 Jahre. Und plötzlich entwickelte sie doch noch Lust am Pauken.
Dass das Thema Bildung einen neuen Stellenwert gewann, hängt auch mit einem Ort zusammen, an dem junge und nicht mehr ganz so junge Frauen sie in der richtigen Dosis bekommen: dem Frauenladen der gemeinnützigen Gesellschaft für Arbeit, Bildung und Wohnen (abw). Was den Unterschied zum Schulunterricht ausmacht, ist die Atmosphäre. "Unter Frauen geht es einfach lockerer zu", beschreibt Samantha die Stimmung im Klassenzimmer. Vorne steht in Person von Elke Piechatzek eine Lehrerin mit Geduld und Verständnis. Und über die Hefte beugen sich Kandidatinnen, die allesamt begriffen haben, dass dies vielleicht ihre letzte Chance ist, zumindest mit einfachem Schulabschluss im Berufsleben Fuß zu fassen.
Beim Lernen behilflich ist ihnen auch Antje Kaczmarek, die als eine von vier Vollzeitbeschäftigten Geschichte und Sozialkunde lehrt und darüber hinaus für die Berufsorientierung verantwortlich zeichnet. Dass in 30 Jahren die meisten Teilnehmerinnen den zehnmonatigen Kurs erfolgreich bestanden haben, hängt aus ihrer Sicht schon mit der Grundvoraussetzung zusammen: "Niemand zwingt die Frauen, hier mitzumachen - und darauf bauen wir", verweist Kaczmarek auf die Motivation durch den freien Willen. Von rund 18 Schülerinnen, die bei abw mit dem Lernen beginnen, bringt man immerhin 13 in die Prüfung. Und dann schleunigst in den Beruf.
Im Fall von Samantha ist bereits klar: eine Ausbildung zur Industriekauffrau ist das erklärte Ziel. "Aber natürlich brauchen sie auch einen Plan B und Plan C", warnt Kaczmarek vor übereilter Festlegung. Wie es mit dem Wunschjob funktionieren kann, beweist das Beispiel der polnischstämmigen Absolventin Ilona, die lange haderte, dann die Kehrtwende zum Guten schaffte und heute als Sanitäterin in einem Krankenwagen durch die Stadt düst. Nicht zuletzt aufgrund solcher Beispiele gewann die Einrichtung 2013 den Hatun-Sürücü-Preis, der besonderes Engagement im Sinne von Frauen würdigt.
Und die Kosten? Sie sind für Schülerinnen kein Thema dank einer kompletten Finanzierung durch den Europäischen Sozialfonds und die Senatsverwaltung für Arbeit. Doch ob diese Förderung auch in den nächsten Jahren Bestand haben wird, gilt derzeit als ungewiss. Eine bittere Note mischt sich also in die Feierlaune zum 30-jährigen Bestehen. Samanthas Zukunft dürfte nach dem Ende der Prüfungen in diesen Tagen gesichert sein. Nun ist es der Frauenladen, der zittern muss.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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