Keine Scheu vorm Mitochondrium
Westend. So spannend jobbt es sich im Labor: Mit einem ganzen Truck voller Biotechnik gab die Arbeitsagentur für Arbeit Berlin Nord Einblick in eine der zukunftsträchtigsten Branchen. Aber noch immer meiden Mädchen naturwissenschaftliche Jobs. Warum eigentlich?
Nichts ist so klein, dass kein Kraftwerk darin Platz fände. Selbst eine menschliche Zelle hat noch Raum für Energiespender im kleinsten Format. Und wären wir nur winzig genug – wir könnten einfach hineinschlüpfen, durch die Zellwand hindurch. Dann läge es vor uns: das Mitochondrium, der Reaktor der Zelle, ein bohnenförmiges, geheimnisvolles Gebilde.
Doch wenn wir uns nicht hineinbegeben in diese Minimalwelt, dann blicken wir auf Schaubilder. Und lesen diese komplizierten lateinischen Namen. Mitochondrium. Endoplasmatisches Retikulum. Warum also nicht stattdessen lieber modische Haarschnitte schnippeln lernen?
Weil der Biotechnik die Zukunft gehört, würde Dr. Anne Wiekenberg erwidern. Und weil hier tatsächlich noch gut bezahlte Jobs winken, bei denen die Herren der Zunft zu oft unter sich bleiben „Wir bewegen uns momentan zum Beispiel in der Medizin in Richtung einer Individualisierung. Krankheiten wie Krebs werden nicht mehr allgemein mit einem Medikament behandelt. Wir finden heraus, wie Krankheiten bei jedem einzelnen funktionieren und entwickeln eine ganz spezielle Therapie.“ Fasziniert von solchen Chancen, will Wiekenberg nun andere von neuen Perspektiven begeistern. Also tourt sie mit dem Biotechnikum-Truck des Bundesforschungsministeriums quer durchs Land, auf dass die Jugend, vor allem die weibliche begreift, was ihr womöglich entgeht. Und begreifbar machen heißt: Erlebnisse schaffen. „Vielen Schülern fehlt einfach die Vorstellung, was sie später erwartet“, weiß die Expertin. Biochemisches Wissen vermitteln, das gerät in der Schule oft zu abstrakt.
Deshalb wird die Reise zum Zellkern zum handfesten Abenteuer, das an ein Computerspiel erinnert, gespickt mit Fragen, die bei Günter Jauch in Richtung des Millionengewinns führen würden. Virtuell, visuell, witzig. So klappt es im Truck klappt auch mit der Mitose. Und wer viel weiß, freut sich am Ende über Highscores. Diesen Eindruck gewannen nun auf dem Parkplatz der Arbeitsagentur Nord auch junge Praktikanten der Hildegard-Wegscheider-Oberschule.
Dass ihnen mit solchen Fertigkeiten in Berlin viele Türen offen stehen, gab den Schülern Ilka Ludewig im Namen der Agentur für Arbeit mit auf den Weg. „Wir sind ein wichtiger Wissenschaftsstandort. Und egal in welchem Ausbildungslevel – man kommt im hiesigen Arbeitsmarkt gut unter.“ Leichter jedenfalls als im Handel oder Frisörhandwerk.
Insofern heißt die Devise: Mut haben zu Mathematik und zu naturwissenschaftlichen Fächern.
Zellteilchen ergründen bringt weiter als ein Smartphone-Spiel. Und wer genetische Fingerabdrücke erstellen darf, fühlt sich wie der Held – oder die Heldin – einer amerikanischen Mysterie-Serie. „Wir nennen uns auch CSI-Biotechnikum“, witzelt Wiekenberg über das Hantieren mit Wattestäbchen auf der Mundschleimhaut.
Ob in der Käseproduktion oder der Kunststoffindustrie – das biotechnisches Wissen lässt denjenigen, der es hat, in verschiedensten Branchen heimisch werden. Und wer gern mit Pipetten hantiert, das weiß die Jugend im Berliner Westen nun, muss noch nicht einmal jahrelang studieren. Dann genügt auch schon die einfache Ausbildung. Und man ist allerorts gefragt als Laborant.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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