"Maschinenpistolen schrecken eher ab"
Fallstudie zur subjektiven Sicherheit auf dem Breitscheidplatz

800 Weihnachtsmarktbesucher wurden für die Fallstudie 2019 auf dem Breitscheidplatz befragt.  | Foto: Ulrike Kiefert
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Wie sicher fühlen sich die Berliner auf dem Breitscheidplatz, drei Jahre nach dem Terroranschlag? Das wollte Polizeioberrat Dirk Schipper-Kruse mit einer Fallstudie herausfinden. Die Ergebnisse präsentierte er kürzlich in einer Videokonferenz der AG City.

Dirk Schipper-Kruse ist Polizeioberrat und bildet seit 2008 an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht Polizeikommissare aus. Damals, am 19. Dezember 2016, war er kurz nach dem Terroranschlag selbst am Breitscheidplatz im Einsatz, als Führungskraft im Charlottenburger Polizeiabschnitt 25. Seitdem entwickelt er neue Einsatzkonzepte zum Schutz von Großveranstaltungen mit. Mitdenken müssen Veranstalter und Polizei dabei immer auch das Sicherheitsgefühl der Teilnehmer.

Doch welche Maßnahmen sind angemessen?

Hilft viel Polizei oder eher weniger? Schrecken hochgerüstete Polizisten mit MP ab oder geben sie ein gutes Gefühl? Das hat Dirk Schipper-Kruse drei Jahre nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche untersucht. Für seine vierwöchige Fallstudie „Wie sicher fühlen Sie sich heute?“ wurden 800 Weihnachtsmarktbesucher zwischen Ende November und Mitte Dezember 2019 befragt. Polizisten hatten dafür an zwölf Tagen in drei unterschiedlichen „Präsenzstufen“ Wache auf dem Breitscheidplatz bezogen: als uniformierte Beamte des Abschnitts 25 (geringe Stufe), als Kräfte der Polizeidirektion 2 in Einsatzuniform und mit doppelter Anzahl (mittlere Stufe) sowie zusätzlich mit MP (höchste Stufe). Wichtigste Erkenntnis: Viel Polizei erhöhte das Sicherheitsempfinden, Maschinenpistolen jedoch schreckten mehrheitlich eher ab. Immerhin 97 Prozent aller Befragten fühlten sich auf dem Weihnachtsmarkt insgesamt sicher.

Auffällig: Das „demonstrative Tragen von Maschinenpistolen“ bewerteten die Weihnachtsmarktbesucher je nach Nationalität unterschiedlich. „Eine Israelin und eine Ukrainerin verbinden damit Handlungsmacht und Sicherheit“, stellt die Studie fest. „Deutsche Passanten, die eine derartige Ausstattung der Polizei im Alltag nicht kennen, verunsichern Maschinenpistolen dagegen eher“, so Schipper-Kruse. So gaben nur 50,9 Prozent an, sich dadurch sehr sicher zu fühlen. Bei ausländischen Weihnachtsmarktbesuchern waren es 70,9 Prozent.

„Vertrauensbildende Maßnahmen der Polizei wie Infostände oder Auskünfte sind wichtiger als das demonstrative Tragen einer MP, sofern es die objekte Gefahrenlage erlaubt.“

Die Polizeipräsenz wurde von den Befragten außerdem vor allem dann positiv beurteilt, wenn die Beamten „nett und freundlich“, also weniger bedrohlich auftraten. Das zeigen Videos, die vor Ort aufgenommen wurden. So hielten die Passanten deutlich Abstand zum Polizisten mit der Maschinenpistole am „Weltkugelbrunnen“. Ohne MP, die Hände lässig in der Hosentasche, wurde der Beamte dagegen häufig angesprochen, etwa um für eine Familie ein Erinnerungsfoto zu schießen. Fazit für Schipper-Kruse: „Vertrauensbildende Maßnahmen der Polizei wie Infostände oder Auskünfte sind wichtiger als das demonstrative Tragen einer MP, sofern es die objekte Gefahrenlage erlaubt.“

79,3 Prozent hatten nichts
gegen Poller und Gitter

Weitere Erkenntnisse der Studie: Deutlich sichtbare Absperrungen erhöhten das Sicherheitsgefühl der Weihnachtsmarktbesucher. 79,3 Prozent hatten nichts gegen Poller und Gitter. Die Akzeptanz war allerdings davon abhängig, ob die Befragten von dem Anschlag vor drei Jahren wussten. Ob der Breitscheidplatz zur „Festung“ werden soll, darüber wird in der City West bekanntlich gestritten. Der Innensenator hatte, wie berichtet, schon vor längerer Zeit ein neues Sicherheitskonzept angekündigt. Das steht allerdings immer noch aus.

Im anschließenden Chat der Videokonferenz wies die AG City daraufhin, dass viele Berliner den Weihnachtsmarkt seit dem Anschlag meiden würden und die Absperrungen eher hinderlich seien. Auch Martin Germer, Pfarrer der Gedächtniskirche, hat einen Besucherrückgang von gut 20 Prozent in seiner Kirche bemerkt. Für Dirk Schipper-Kruse steht mit der Fallstudie fest: „Der Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz schien im Dezember 2019 kein Hotspot der Unsicherheit mehr zu sein.“ Um das zu belegen, müsste man die Befragung allerdings wiederholen.

Die Fallstudie von Dirk Schipper-Kruse ist auf der Homepage des „Forschungsinstituts für öffentliche und private Sicherheit Berlin“ der Hochschule für Wirtschaft und Recht nachlesbar: www.foeps-berlin.org.

800 Weihnachtsmarktbesucher wurden für die Fallstudie 2019 auf dem Breitscheidplatz befragt.  | Foto: Ulrike Kiefert
Polizeioberrat Dirk Schipper-Kruse im Videochat.  | Foto: Ulrike Kiefert
Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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