Wandelism stampft den Kulturkiez Hometown aus dem Boden
Am 16. Juni eröffnet das Dorf der Kreativen
Dem Kreativ-Kollektiv Wandelism ist ein grandioser Coup gelungen. Inmitten der City West, um den Palazzo an der Hertzallee herum, haben sie ein Grundstück ergattert, auf dem eine kleine Künstlerstadt inklusive Partyzone namens Hometown Berlin entstehen wird.
Die Handwerker sind hier auf dem Nachbargrundstück des BVG-Busbahnhofs, fünf Minuten Fußmarsch vom Bahnhof Zoo entfernt, gerade emsig wie die Ameisen. Für das etwas andere Richtfest am Sonnabend, 16. Juni, muss noch allerhand erledigt werden. Ein großer Bretterzaun säumt das Grundstück, teilweise ist er bereits bunt gestrichen. Moritz Tonn, einer der Organisatoren: "Da werden noch Türen und Fenster aufgemalt und dann dürfen sich die Sprayer austoben – Straßenfeeling."
Bar im alten Doppeldecker-Bus
Der Arm eines Kranwagens hievt laufend Bretter von der Ladefläche, der Zaun ist noch nicht fertig. Auf dem Boden liegen dicht an dicht Europaletten. "Die Tanzfläche", sagt Tonn. An anderer Stelle verziert der holländische Graffiti-Künstler Dr. Ank gerade die Bar, einen der zwei ausrangierten Doppeldecker-Busse, die Wandelism für das Projekt geliehen bekommen hat. Im anderen werden die DJs residieren. "Ein ganzer Bus nur für mich, ganz legal. Herrlich!" schwärmt der Sprayer aus Ütrecht, dessen Character passender Weise ein "Flachenmann, der immer trinkt" ist.
Bis 3. Oktober geöffnet
Bis zur Eröffnung des Kulturkiezes sollen noch gemütliche Sitzecken entstehen und gleich mit exotischer Begrünung in karibische Atmosphäre getaucht werden. Ob das mit dem kleinen Teich und Bachlauf noch rechtzeitig klappt? Vermutlich nicht. Ist aber auch nicht schlimm, hier befindet sich ohnehin alles im Wandel bis zum 3. Oktober. "Dann müssen wir runter, der Palazzo braucht den Platz während der Wintersaison", sagt Tonn. Nach der Eröffnungsfeier geht es erst richtig los. Auf der Fläche hinter dem Palazzo sollen 40 Freiluft-Ateliers entstehen, wo Streetart-Künstler ihr Schaffen sichtbar machen. "Dazu nutzen wir Hütten, deren Dächer auf beiden Seiten nach unten geklappt werden können. Wir können also switchen zwischen geschlossenen Räumen und einer offenen Marktplatzsituation", sagt Tonn. Möglicherweise ensteht sogar eine Skaterbahn im Laufe der Zeit.
Nach dem Richtfest nehmen sich die Protagonisten den Sonntag frei, geöffnet ist Hometown Berlin in der Folge zunächst immer von Donnerstag bis Sonntag, jeweils ab 12 Uhr, das erste Mal am Donnerstag, 21. Juni. "Je nach dem, wie es läuft, können wir die Öffnungszeiten auch erweitern."
Die erste Aktion von Wandelism, die temporäre Streetart-Ausstellung in der dem Abriss geweihten Autowerkstatt in der Wilhelmsaue, schlug ordentlich Wellen. "In Berlin waren anschließend etwa ein Dutzend Immobilienbesitzer an einer Zusammenarbeit interessiert." Zunächst weckte ein alter Plattenbau an der Prenzlauer Promenade Begehrlichkeiten im Lager von Wandelism. "Dort hätten wir auf 12 000 Quadratmetern auf einen Schlag 400 Ateliers bespielen können." Das wäre angesichts der schwindenden Zahl an Künstlerstätten auch durchaus im Sinne von Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) gewesen. Allerdings sei man auf eine Wand von Bürokratie geprallt, die sich mit der Wandelism-Prämisse "Schnell rein, entstehen lassen und wieder raus" nicht in Einklang bringen ließ. "Roland, einer unserer Mitstreiter, hatte diese Fläche hier schon länger im Auge. Mit Wandelism im Rücken hat es geklappt sie zu mieten und jetzt sind wir eben hier."
Bei der Gestaltung des Areals gibt es alles, nur keine Schwierigkeiten, genügend Künstler zu gewinnen. Das mittlerweile rund ein Dutzend Köpfe zählende Kreativ-Kollektiv konnte sich vor Bewerbungen kaum retten. "400 waren es weltweit, innerhalb von einer Woche", so Tonn. Verantwortlich dafür zeichnete die mediale Aufmerksamkeit, "vor allem der Bericht im Brooklyn Street Art, das Szenemagazin überhaupt, hat uns enorm geholfen."
Für die Crew von Wandelism gleicht das künstlerische Potenzial Berlins einem Meer, aus dem es Schätze zu bergen gilt. Hat sie mit der Autowerkstatt ob der begrenzten Zeit vielleicht eine Kiste Goldmünzen heraufgetaucht, könnte es mit Hometown gelingen, eine ganze Schiffsladung an die Oberfläche zu bringen.
Tonn jedenfalls ist von den Möglichkeiten in Berlin so begeistert, dass er seinen Wohnort von Wien in die deutsche Haupstadt verlegen wird. "Die Kunstszene hier ist zu verlockend, als dass man nicht vor Ort sein möchte. Außerdem habe ich genug vom Couch-Hopping", sagt er und lacht. Finanziell tragen muss sich Hometown natürlich auch. "Wir haben bei der Autowerkstatt drei Monate umsonst gearbeitet. Das halten wir nicht nochmal durch." Deswegen fährt Wandelism für das neue Projekt auch die Gastro- und Partyschiene, die Streetart soll nicht nur sichtbar werden, sondern auch bezahlbar sein. Verständlich, bislang belaufen sich die Investitionskosten "gerade noch so im fünfstelligen Bereich", wie der Organisator sagt.
Alles im steten Wandel, der Name der Macher ist Programm. Die Kulturfreunde dürfen also gespannt sein, wie sich das Künstlerdorf entwickelt und ob das Produkt mit einem Abriss nach dem 3. Oktober "fertig" wird, weiter an dieser oder an anderer Stelle weiter wächst und gedeiht. "Bis dahin haben wir noch den ganzen Sommer. Aber ja, es gibt bereits Überlegungen, ob und wie Hometown eine dauerhafte Einrichtung werden kann", verrät Tonn.
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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