Leseratten im Klausenerplatz-Kiez lieben die "Bücherzelle"
Charlottenburg. Quasi im Vorbeigehen das ausgelesene Buch ins Regal stellen und neue Literatur einpacken, ohne Büchereiausweis, ohne Leihfrist, ohne Gebühr – die „Bücherzelle“ in der Seelingstraße macht es möglich.
Die Idee, eine der ausgedienten Telefonzellen zu einer Tauschbörse für Lesestoff umzufunktionieren, ist nicht neu. Nicht in Berlin an sich und auch nicht im Kiez rund um den Klausenerplatz. In der Danckelmannstraße lief einst eine Art Modellprojekt, leider ohne Erfolg. „Weil sich niemand darum gekümmert hat“, erinnert sich Harald Marpe. Um die „Bücherzelle“ gleich neben der Biobäckerei "Brotgarten" kümmert sich wer, nämlich er selbst. Marpe sitzt nur etwa 100 Meter entfernt von der Mini-Bücherei im Büro des Kiezbündnisses Klausenerplatz. Er geht täglich rüber und sieht nach dem Rechten. In zweieinhalb Jahren – so lange steht die ausrangierte Telefonzelle schon – hat er mehrere Feststellungen machen können: Zunächst einmal, dass das Konzept funktioniert. „Es ist erstaunlich, aber täglich wechselt der Bestand. Es wird fleißig getauscht, die Bücherzelle wird gut angenommen“, sagt er.
Keinen Müll entsorgen
Dass die Leute ab und an den Zweck entfremden und Teddys, alte Vasen, Jeans und Puzzles zum Tausch anbieten, findet Marpe nicht schlimm. „Kleinigkeiten, die zu verkraften sind. Und in der Regel bringen wir die Sachen ja auch immer an den Mann.“ Als „unverschämt“ empfindet er hingegen, wenn die Kiezbewohner alte, dreckige Bücher einstellen. „Da sind dann auch noch Spinnweben drauf, so etwas möchte doch kein Mensch lesen.“ Und dann müsse er noch darauf achten, dass die Zelle nicht mit Plakaten von Veranstaltungen aus anderen Bezirken zugepflastert werde. Das Gerücht, die „Bücherzelle“ sei erst vor Kurzem verwüstet worden, bestätigte Marpe nicht. "In der Anfangszeit ist sie zweimal ausgeräumt worden, ich denke, von irgendeinem fehlgeleiteten Buchhändler. Ansonsten ist nichts passiert.“
Marita Alhado ist gerade in der "Bücherzelle" und sucht nach neuer Lektüre. Den Simmel stellt sie schnell wieder zurück ins Regal. „Den mag ich nicht“, sagt die Seniorin, die oft vorbeikommt. Sie mag die Einrichtung, aber ein bisschen Kritik wird sie auch los: „Die Auswahl könnte schon besser sein.“
Bezahlt hat die alte Telefonzelle übrigens der Bezirk. Aus einem alten Lager der Post nach Berlin gebracht wurde sie dann vom Kiezbündnis Klausenerplatz. Und was so einfach und romantisch klingt, unterliegt in Deutschland natürlich auch der Bürokratie. Es gibt eine Art Nutzungsvertrag mit dem Bezirk. „Sie steht ja auf öffentlichem Straßenland“, sagt Marpe. Ein großer Geist stört sich nicht daran, zumal der Vertrag kürzlich ganz offiziell bis 2020 verlängert wurde. maz
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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