Amazon Remake
"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" kommt nicht gut an
BERLIN - Offizielle Abrufzahlen gibt Amazon bisher nicht bekannt. Aber in den ersten zwei Tagen wird die Neuauflage "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" in Serie von vergleichsweise vielen Amazon-Zuschauern in den Rezensionen zerrissen. Tatsächlich wirkt der Drogenmissbrauch manchmal wie ein cooler Partytrip.
"Leider eine totale Verherrlichung der tatsächlich dramatischen Geschehnisse", schreibt einer von hunderten enttäuschten Amazon-Zuschauern des Versandhändlers gestern. Oder: "Durch immer top gestylte Jugendliche und viel zu fröhliche Musik wurde mehr auf die Ästhetik geachtet, als auf Inhalt." Von "Verharmlosung" liest man häufig unter den bisher über 500 Rezensionen. Fairerweise sollte erwähnt werden: Ja, es gibt seit Samstagabend vermehrt positives Feedback bei Amazon auf der Webseite von Prime Video. Aber die Enttäuschung überwiegt temporär deutlich in den Rezensionen. Die neue Amazon Serie aus Berlin kommt nicht gut an, zumindest am zweiten Tag nach der Veröffentlichung.
Rückblick auf das Original 1981
Amazon versuchte sich in einem Remake an der Geschichte von Christiane F. aus Berlin. Angelehnt ist die teure Produktion an das Buch und verfilmte Drogendrama von Ulrich Edel "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo". Der Film aus dem Jahr 1981 ließ damals in den Kinos den Zuschauer geschockt zurück. Er zeigte an der Hauptfigur, übrigens brilliant gespielt von der damals 14-jährigen Natja Brunckhorst, was Heroin körperlich und Prostitution seelisch aus Menschen macht. Es gab kein Leben mit Drogen, so die unmissverständliche Botschaft. Edels grandiose Filmarbeit war ein ungeschönter Blick auf ein dreckiges Berlin rund um den Bahnhof Zoo und eine abgehängte Jugend, die sich in einen Rausch flüchtete; aus diesem Christiane F. mit ihrem Freund Detlef am nächsten Morgen im eigenen Erbrochenen zu sich kommt. Das waren schwer zu ertragene Szenen.
LSD-Pillen fliegen cool in die Luft
Von solchen Schockbildern ist die Amazon Original Produktion weit entfernt. Detlef heißt jetzt Benno und die neu erzählte Geschichte über das damalige Drogen-Berlin scheint irgendwie für die heutige Generation hübsch verpackt worden zu sein. Amazon nennt seine Serie ein bildgewaltiges Coming of Age-Epos und hat damit nicht übertrieben. Tatsächlich werden die Szenen wie in Folge 1, wo bunte LSD-Pillen cool in die Luft geschmissen werden, dann in Zeitlupe zu Boden fallen, mit allerhand technischen Raffinessen aufgewertet. Der Trip wird in schönen Kamerafahrten verpackt. Doch wozu? Die Spritzen sind in zwei Szenen fein säuberlich in einem Besteck-Etui verpackt. Das mag im heutigen Berlin bei Suchtbehandlungszentren zutreffen, aber bei Christiane F. vor über 40 Jahren wohl kaum. In Edels Film gibt sich F. gar einen Schuss aus einer benutzen Kanüle auf dem Boden einer verschmutzten öffentlichen Toilette.
Meinung:
Das Remake "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" hat mich ebenso ratlos zurück gelassen wie viele Amazon Zuschauer, die sich öffentlich kritisch in Bewertungen geäußert haben. Es hat mit den geschilderten Erlebnissen in dem vom stern 1978 veröffentlichen Buch über Christiane F. aus Neukölln nicht viel gemein. Bei mir liegt die Enttäuschung auch darin, weil ich dazu neigte, Serie und Originalfilm bei jeder Folge zu vergleichen. Ein Blick in die aktuelle Produktion sei dennoch den jüngeren Zuschauern (ab 16!) ans Herz gelegt, die Edels knallhartes Original nicht kennen und all jenen, die es bis heute wegen den expliziten Bildern kaum anschauen können.
"Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (2021), alle 8 Folgen bei Amazon Prime Video zum Abruf, FSK 16 (Folge 7 FSK 12).
Autor:Marcel Adler aus Friedrichshain |
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