Stadtspaziergang
Wo einst Kürassiere der Leibgarde ritten

In der Mitte des Klausenerplatzes befindet sich ein schöner Spielplatz. | Foto: Bernd S. Meyer
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Unweit vom Schloßpark Charlottenburg, am Spandauer Damm, liegt das grüne Geviert des Klausenerplatzes mit schönem Spielplatz in der Mitte. Anfang der Dreißiger ist nebenan die große katholische Kirche St. Kamillus geweiht worden. Ein moderner Neubau, wuchs doch die königliche Stadtgründung Charlottenburg bis Ende des 19. Jahrhunderts zur Großstadt heran.

Nachdem vorher die Kürassiere des Leibregiments Garde du Corps vom alten Standort samt Exerzierplatz abgerückt waren, blieb der Name des Regiments auf 200 Meter Länge noch im neuen Straßenraster, das nach Berliner Muster angelegt wurde. Es dauerte dann nur wenige Jahre, bis es im bürgerlich noblen Charlottenburg westlich von Schloßstraße, links und rechts der Danckelmannstraße, ein Mietskasernen-Viertel gab – mit damals über 20.000 Einwohnern, viele katholisch.

Wussten Sie, dass die Gegend in den Zwanzigern auch Roter Wedding Charlottenburgs genannt wurde? Im Krieg gab es kaum Zerstörungen. Streift man durch alte Wohnstraßen, trifft man kleine Geschäfte, so eine Bäckerei mit hugenottischem Namen, den Gemüseladen, der mit Bio wie Feinkost wirbt, den Fleischer, der frische Weißwurst anpreist, die kleine Buchhandlung, auch den Laden vom Kiezbündnis Klausenerplatz – unterwegs Leute jeden Alters, die sich unterhalten.

Das Charlottenburger Ledigenheim, in dem seit 1908 unverheiratete Burschen einen Schlafplatz fanden. | Foto: Bernd S. Meyer
  • Das Charlottenburger Ledigenheim, in dem seit 1908 unverheiratete Burschen einen Schlafplatz fanden.
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Zur Erinnerung: Vor 80 Jahren, am 5. November 1943, starb Dompropst Bernhard Lichtenberg als Gefangener beim Zwischenaufenthalt in der Stadt Hof. Nach einer Gefängnisstrafe steckte man ihn schwerkrank in einen Bahntransport zum KZ Dachau. 1913 bis 1930 hatte er in der Herz-Jesu-Kirche hinter dem Rathaus gepredigt, dann die Gründung der neuen Gemeinde angeregt, benannt nach dem heiligen Kamillus, Schutzpatron der Sanitäter. Lichtenberg war einer der wenigen Geistlichen, die immer wieder mutig gegen Naziterror auftraten.

Der Klausenerplatz ist nach dem Krieg nach dem Zentrumspolitiker benannt, nicht nach dem Einsiedler. Seinen vollen Namen Dr. Erich Joseph Gustav Klausener fand man in Charlottenburg 1950 wohl zu lang für ein Straßenschild. Der Jurist begann seine Karriere im preußischen Handelsministerium, wurde nach Kriegsdienst ab 1917 Landrat in zwei Rheinland-Kreisen, wechselte 1924 in die Regierung des Freistaats, leitete ab 1926 die Innenministeriums-Polizeiabteilung. Drei Tage nach Hitlers Machtantritt wurde er im Reichsverkehrsministerium Leiter der Abteilung Schifffahrt. Noch brauchte man den Verwaltungsmann. Aber im Juni 1934 sprach er als Primus der Katholischen Aktion öffentlich gegen kirchenfeindliche wie rassistische Aktionen des NS-Regimes. Sechs Tage später wurde er im Zuge der staatsterroristischen Mordorgie gegen die SA-Führung unter Ernst Röhm am 30. Juni 1934 im Wilhelmstraßen-Dienstzimmer erschossen.

Vieles im Kiez erinnert an seinen berühmten Bewohner. der Heinrich-Zille-Kindergarten. | Foto: Bernd S. Meyer
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Die beiden wohl populärsten historischen Persönlichkeiten Charlottenburgs wohnten zu Lebzeiten etwa gleich weit vom heutigen Klausener entfernt: Ab 1699 nordöstlich die Lietzenburg-Schlossherrin Sophie Charlotte, als Kurfürstin, dann erste Königin Brandenburg-Preußens und letztlich Namensgeberin von Schloss und Stadt, 200 Jahre nach ihrer Hochzeit auch ihrer Straße. 1892 zog der Lithograf Heinrich Zille in die Sophie-Charlotte-Straße 88. Ihn brachte sein gezeichnetes Berliner „Milljöh“ in den Zwanzigern als Künstler, Professor und Akademiemitglied ungeahnte Berühmtheit. Beide kamen von außerhalb: Zille aus der ärmlichen Rummelsburger Victoriastadt, wo er mit seiner Familie mehrfach umgezogen war. Hier mietete der gebürtige Sachse nun für sich und seine Lieben im Eckhaus Seelingstraße (einst Potsdamer) eine Wohnung in der vierten Etage, in der er dann bis 1929 lebte. Die Prinzessin von Hannover, geboren vor 355 Jahren, am 30. Oktober 1668 auf Schloss Iburg nahe Osnabrück, wurde 1684, also mit 16 Jahren, dem Kurprinzen Friedrich angetraut, späterer Kurfürst, ab 1701 erster König in Preußen. Ihr gefiel Gut wie Dorf Lietzow, laut Goldkugel-Postsäule eine preußische Meile vor Berlin, so ließ sie hier ihr Schloss an der Spree erbauen.

Gedenktafel für Heinrich Zille | Foto: Bernd S. Meyer
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Die kluge, gebildete, nach Zeitgenossen sehr schöne Kurfürstin machte es zum Musenhof. Geistesfreund G. W. Leibnitz, Akademie-Gründer, rühmte sie als philosophischste Königin ihrer Zeit. 200 Jahre nach ihrem Tod errichtete die reiche Stadt Charlottenburg am Tiergartenausgang jenes gewaltige Charlottenburger Tor, dessen Berliner Seite links die Figur des Gemahls Friedrich I. und rechts die ihre bewachen.

Heinrich Zille bekam 1932 die Bronzetafel neben der Haustür von Sophie-Charlotten-Straße 88 als Ehrung Berlins. Die Nazis wollten sie verschrotten, Gießereiarbeiter versteckten sie, 1949 wurde sie erneuert. Sein bekanntestes Denkmal steht seit den Sechzigern am Märkischen Museum. Charlottenburgs alte Wallstraße hieß ab 1947 Zillestraße, im Ausland war sie schon ein Jahrzehnt früher anonym bekannt - mit Jan Peters Tatsachenroman „Unsere Straße“, der den Widerstand gegen die NS-Diktatur in dieser Arbeitergegend schilderte.

Die Fassade der Sophie-Charlotte-Straße 88 hat ihren einstigen Charme verloren. | Foto: Bernd S. Meyer
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Für den heutigen Kiez sind die Siebziger Jahre prägend geworden. Im Widerstreit zwischen geplanter Abrisssanierung und der damals von den Bewohnern mit Hilfe von jungen Architekten, engagierten jungen Stadtplanern, kampfbereiten Studenten als Hausbesetzern schließlich erstrittene Stadterneuerung, konnte das einstige im Krieg kaum zerstörte Problemviertel überleben.

Ein Name erscheint in diesen Geschichten immer wieder, nämlich der des Architekten Hardt-Waltherr Hämer der vor 50 Jahren hier einen behutsam sanierten Modellblock entwickelte. Sein erster Auftrag war einst die Schifferkirche im Ostseebad Ahrenshoop, eingeweiht am 14. Oktober 1951. Jahrgang 1922 galt er in den Siebzigern bereits als etabliert und rechnete den Ämtern vor, dass vorsichtige Sanierung wesentlich billiger wäre, als Abriss und Neubau auf der grünen Wiese. Er selber konnte die Erfahrungen im Danckelmannkiez später auch in Projekten der Internationalen Bauausstellung 1984/87 (IBA) durchsetzen.

Manches aber war schon vorher passiert: Während Sophie Charlottes Schloss, das sie von 1699 bis 1705 bewohnt hatte und das nach dem Krieg nur noch eine Ruine war, nach 1951 in jahrzehntelangen Aufbau- wie Restaurierungsarbeiten bis in alle barocken Feinheiten wiederhergestellt wurde, ist die Sophie-Charlotte-Straße 88 - jenes Mietshaus, in dem Heinrich Zille 37 Jahre gelebt hatte und das kaum beschädigt den Krieg überstand - völlig vom alten Stuck befreit und mit ockerfarbenem Rauputz in der „üblichen Art“ renoviert worden. Man kann nicht alles haben ...

Der Spaziergang beginnt am Sonnabend, 14. Oktober, um 11 Uhr. Treffpunkt ist die Ecke Klausenerplatz und Danckelmannstraße. Die Tour wiederhole ich am Sonnabend, 21. Oktober, um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.

Die Führung am 14. Oktober ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Dienstag, 10. Oktober, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.

Autor:

Bernd S. Meyer aus Mitte

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