Armdrücken und Amore: Wie die Berliner Woche zwei Leben veränderte
Am Esstisch sind sie ganz bei sich. Da halten sie Händchen mit verkniffenen Gesichtern. Da stemmt Gerald seinen Ellenbogen auf ein Polster, bedeutet seiner Irene, es ihm gleichzutun. Ihre Handballen berühren sich, seine Finger umschmiegen ihre - und dann beginnt Irene zu drücken, so fest sie kann. Auch wenn sich die Muskeln unter der Bluse noch so spannen, ist es noch nie geschehen, dass sie Gerald beim Armdrücken bezwang.
Irene (62) und Gerald (65) ringen sozusagen aus Liebe, pflegen ein Hobby, das innig verbindet. Sie sind sich heute noch näher als vor zwei Jahren, als ihr gemeinsames Glück seinen Lauf nahm. "So machen wir es immer, wenn wir uns sehen", freut sich Gerald.
Dass er sie so häufig sieht und sie ihn so gerne empfängt, diese Liebesgeschichte geht auf ein paar Zeilen zurück, die Irene in Druck geben ließ in der Berliner Woche. "Der Text war kurz", erinnert sie sich. Und er lautete etwa so: "Sie, 60 Jahre, schlank, 1,60 Meter groß, Raucher, sucht Partner mit handwerklichen Fähigkeiten für eine dauerhafte Beziehung."
Da dachte Gerald beim Stöbern in den Annoncen: Ihr werde ich schreiben. Und ahnte nicht, dass es sich um die gleiche Frau handelt, bei der er vor genau einem Jahr schon abgeblitzt war. Was damals schief lief und nun besser gelang? "Es war das Foto", sagt die Polizeiangestellte im Ruhestand. Beim ersten Mal schickte ihr der Finanzkaufmann eine seitliche Ansicht beim Vortrag an einem Rednerpult. Beim zweiten Mal jedoch ein freundliches Porträt. Und er tat gut daran. Denn nun verabredete man sich zum Essen, ging spazieren, sah einen schwedischen Film, der ihr nicht gefiel. Dafür wuchs das Gefallen aneinander. Dass es knistern würde, stand ja in den Sternen. "Sie ist erste Dekade Stier, ich bin zweite Dekade Stier. Das passt perfekt", analysiert Gerald die astrologische Lage. "Ich mag seine ruhige, sympathische Art. Und wir haben uns in zwei Jahren noch nie gestritten", pflichtet Irene bei.
Dass die klassische Zeitungsanzeige neumodischen Kontaktmöglichkeiten überlegen ist, daran hat das Paar keine Zweifel: "Heute wählen ja viele den elektronischen Weg. Aber in der Berliner Woche stehen noch richtige Chiffre-Anzeigen", sagt Gerald. "Ein Foto und eine Handschrift, das ist doch viel persönlicher und direkter als ewiges Mailen." Er will anderen Mut machen, trotz Pech und Fehlversuchen die Fühler auszustrecken. "Man darf die Hoffnung nicht aufgeben." Das ist es, was Irene und Gerald anderen mit auf den Weg geben wollen.
Auch bei ihrer sehr speziellen Art des Händchenhaltens ist die Hoffnung im Spiel. Als liebevolle Widersacher am Esstisch werden sie noch so manches Kräftemessen anberaumen. Gerald gibt ihr Vorsprung. Er spürt durch den Handballen Irenes Siegeswillen. Spürt ihre wachsenden Kräfte. "Zu gewinnen, das ist ihr großes Ziel. Und sie ist auf dem besten Weg."
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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