Birgitta Behr – von der Lehrerin zur Filmproduzentin
Am Anfang stand der Wunsch, den Schicksalen hinter den Stolpersteinen ein Gesicht zu geben, die Geschichte des Holocausts kindgerecht zu vermitteln. Und jetzt ist Lehrerin Birgitta Behr, 44, plötzlich Filmproduzentin.
Sie steht der Familie nur begrenzt zur Verfügung, muss für das Telefonat mit der Berliner Woche eine Pause der Synchronisationsarbeiten für ihren Film nutzen. Davon, das zu genießen, was ihr gerade widerfährt, ist überhaupt nicht die Rede. Zeit ist ein rares Gut für Birgitta Behr geworden. Den Stress empfindet sie im Moment vor allem deshalb noch als positiv, weil er bald vorbei ist. Ihr Streifen „Susi, die Enkelin von Haus Nummer 4 und die Zeit der versteckten Judensterne“ ist bald fertig. Muss er sein, denn am 9. März feiert er im Kant Kino Premiere.
Patenschaft für Stolpersteine
Der Reihe nach: Unter der Ägide der ehemaligen Schulleiterin Marianne Könnecke hat sich die Cecilien-Grundschule die Gedenkarbeit auf die Fahnen geschrieben und als Start die Patenschaft für elf Stolpersteine aus dem Kiez rund um ihren Standort am Nikolsburger Platz übernommen. Zunächst wurde eine Geschichtswerkstatt gegründet, um die individuellen Geschichten hinter den Stolpersteinen zu recherchieren. Eine der fünf beteiligten Lehrkräfte war Birgitta Behr, einer der erforschten Werdegänge der von Gertrud Cohn, die von den Nazis in Treblinka ermordet wurde, deren Kinder und Enkelin Susi aber den Holocaust überlebten. Doch wie war die schwere Kost den Kindern einigermaßen verdaulich zu vermitteln?
Kinder gefühlsmäßig ansprechen
„Sicher gibt es Millionen Bücher zum Thema, durch die man sich durchschmökern und Fakten aneinanderreihen kann. Aber das kostet viel Zeit und das, was an Kindern so fasziniert, nämlich dass sie mit allen Sinnen erfassen, wäre auf der Strecke geblieben“, erinnert sich Behr. Ein Buch müsste es sein, aber eben kein reines Sachbuch. „Eines, das die Gefühlswelt der Kinder berücksichtigt“, sagt Behr heute. Also nahm sie damals einen Block zur Hand, spitzte den Bleistift und verarbeitete die Geschichte der kleinen Susi in einem Comic. Dafür fand sie einen Verlag und seit September 2016 ist „Susi, die Enkelin von Haus Nummer 4 und die Zeit der versteckten Judensterne“ als Buch im Handel – und als Unterrichtsmaterial in den Klassenzimmern der Cecilien-Grundschule.
Dem Buch folgte dann das Theaterstück, multimedial aufbereitet, wie Behr sagt. „Drei Vorstellungen, alle ausverkauft.“ Im Publikum saß auch die Schulaufsicht und deren Begeisterung brachte den Stein erst so richtig ins Rollen. „Sie und meine Schule unterstützten meine Idee von einem Film und einer multimedialen Ausstellung, daraus dann Fortbildungen und Unterrichtsmaterial zu entwickeln und das Projekt der Demokratiebildung und kulturellen Bildung weiter zu tragen." Behr wurde freigestellt und zusätzlich abgeordnet, um an der Jugendkunstschule Vorträge zu halten. „Aber hauptsächlich geht es um die Realisierung des Films.“
Mal gut, mal böse
Darin steckt sie gerade noch bis zum Hals. Sie steht hinter der Kamera, achtet auf das Licht, ist für die Kostüme verantwortlich. „Nur für das Knöpfchendrücken habe ich einen ganz tollen Partner“, sagt Behr. Schnitt, Technik und Musik macht sie also nicht. „Umgebende Dinge“ spielen in ihrem Film mit, neben Requisiten aus ihrem Alltag sind damit auch ihre Tochter, die Susi gibt, und Oma und Opa gemeint, die ebenfalls als Laien herhalten müssen. Behr wollte nicht nur einen Weg finden, in jüngeren Generationen die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Vermitteln möchte sie unter anderem, wie die Menschheit ist: mal gut und mal böse, „so wie du und ich eben“. Und sie möchte, dass sich der Betrachter der Selbstwirksamkeit bewusst wird. „Welche Folgen hat das, was ich tue? Zu wissen, was ich anrichte, wenn ich jemanden ausgrenze, ihn nicht zu meinem Geburtstag einlade, weil er die falschen Turnschuhe anhat, ist wahnsinnig wichtig.“ Anekdoten während der Dreharbeiten haben sie darin bestätigt: „Einer wollte wissen, ob wir überhaupt eine Drehgenehmigung haben, eine andere, zufällig eine Jüdin, war von dem Projekt begeistert und hat uns ihren Laden für die Aufnahmen kostenfrei zur Verfügung gestellt.“ Dass Buch, Theaterstück und Film sich ausgerechnet der kleinen Susi widmen, ist auch dem Happy End für sie geschuldet: „Sie wanderte in die USA aus und eröffnete ein Schokoladen- und Delikatessengeschäft – lebte ihre verlorene Kindheit nach.“ Ein glückliches Ende einer sehr aufregenden, berührenden und stressigen Zeit zeichnet sich auch für Birgitta Behr ab: Zur Premiere sind die 350 Plätze im Kant-Kino bereits ausgebucht.
Informationen zu den Projekten von Birgitta Behr finden sich auf der Homepage birgitta-behr.de. Ihr Buch „Susi, die Enkelin von Haus Nummer 4 und die Zeit der versteckten Judensterne“ ist im Handel für 12,99 Euro erhältlich (ISBN: 978-3-8458-1525-1).
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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