Der Heimweher
Wilmersdorf. "Ein wärmender Lichtstrahl in einer immer kälter werdenden Welt ..." So beschrieb die Leserin Donga unseren Aufruf. "Das ist im Zeitalter des unbehausten Menschen eine mutige Tat und gibt Ihrem Blatt eine besondere Aura von verhaltener, aber wärmender Väterlichkeit", schrieb sie weiter. Mit ihren einleitenden Worten hat sie das Gedicht "Heimweher" eingreicht, das, wie sie sagt, aus ihrer Reimfabrik kommt.
Der Heimweher
Er kam mit seinem letzten Hemde,
es ist kaum einen Monat her -
lebt scheel beäugt in cooler Fremde
im Notasyl - mit viel Beschwer.
Nachts liegt er schlaflos auf der Matte
und denkt: Kein Heim, kein Job, kein Geld;
daheim, wo ich doch manches hatte ...
als ihn ganz plötzlich überfällt
das Heimweh wie ein wildes Tier.
Er presst sein Antlitz in die Hände,
es nagt in ihm: Was willst du hier?
Er denkt ans blumige Gelände,
den Kirchturm mit dem Zwiebeldach,
hört seine Lieben lachen, sprechen -
trinkt aus dem glitzerklaren Bach -
ihm ist, als müsst sein Herz zerbrechen ...
Da steht ein Geist an seinem Bette:
„Der Heimweher bin ich genannt.
Steh auf von deiner Lagerstätte!
Ich weh dich in dein Heimatland!“
Und unser Mann lässt sich verwehen
vom Heimweher ins Heimatland -
kommt an - allein was muss er sehen!
Die Stätte wüst und leergebrannt ...
Von Häusern, Straßen keine Zeichen.
Heimweher - wo sind meine Lieben?
Hier liegen sie - zerfetzte Leichen -
und nur die Turmruine ist geblieben ...
Da brüllt er auf zum Gotterbarmen
verbirgt den Kopf in seinen Armen
fühlt schluchzend unheilbare Wunden -
kann er denn wieder je gesunden?
Da spricht der Heimweher mit großem Ernst:
„Ich hab dich heimgeweht, damit du lernst:
Der Mensch in seiner Überheblichkeit
denkt, was er tut, ist für die Ewigkeit.
doch alles, was er hat und liebt tatsächlich
ist - klar bei Licht besehen - sehr gebrechlich.
Vor allem lerne deine Sehnsucht ehren!
Dann kann Verlorenes dir wiederkehren.
Die Sehnsucht bringt dir mehr als die Erfüllung
und das Geheimnis mehr als die Enthüllung.
Wer anders könnte deine Heimat schildern
als du erinnrungsvoll in holden Bildern?
Schaff deine Heimat selbst und ganz allein -
so wird sie immer kraftvoll in dir sein.
Ich weh dich wieder heim - ins Hier und Heute!
Blick auf - dort stehn auch andre arme Leute.
Du bist ihr Nächster: Nah dich ihnen offen
mit deiner Kraft und lass sie wieder hoffen!
Denn nur wer Heimat hat, kann Heimat sein!
Und suchst du selber Kraft, kehr bei dir ein!“
Ein Gruß verweht - der Flüchtling seufzt – erwacht ...
Er denkt: „Was war das doch - in dieser Nacht?
Hab ich´s geträumt, erlebt, gedacht ...?“
Ein lichter Ruf treibt ihn voran -
Er atmet tiefer. Und der Tag bricht an ...
Donga
Autor:Lokalredaktion aus Mitte |
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