Entschleunigter Alltag auf dem Markt am Karl-August-Platz

Die bewusste Art des Kaufens: Eine Tour über den Wochenmarkt auf dem Karl-August-Platz schärft den Blick fürs Wesentliche. | Foto: Thomas Schubert
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  • Die bewusste Art des Kaufens: Eine Tour über den Wochenmarkt auf dem Karl-August-Platz schärft den Blick fürs Wesentliche.
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Charlottenburg. Klassenlos, familienfreundlich, beliebt bei Flaneuren und Ex-Kanzlern: Unter den Berliner Wochenmärkten gilt der am Karl-August-Platz als klassischer Allrounder. Ein Spaziergang um die Trinitatis-Kirche.

Gerhard Schröder mochte es feurig. Til Schweiger entpuppte sich beim Schmausen als Normalo. Und auch all die anderen namhaften Esser, die Gabi Maaß schon mit Currywurst versorgte, werden mit ihren Vorlieben kaum in Vergessenheit geraten. Denn „Gabis Imbiss“ empfiehlt sich dem geneigten Kunden nicht allein mit dem untrüglichen Duft des erhitzten Fleisches, sondern setzt mit Erinnerungsfotos glücklicher Prominenter auf optischen Prunk. Und was mag der kleine Mann von nebenan? „Waschechte Charlottenburger bestellen ihre Wurst am liebsten mit Darm, sehr kräftig im Geschmack“, erwidert Gabi. „Besucher aus den Ostbezirken bevorzugen sie ohne Pelle.“ Gemachte Leute und einfache Bürger tasten sich in Sachen Saucen gleichermaßen an ihr Limit heran. „Bei unseren Gewürzen bedeutet scharf auch scharf“, warnt ein Schild den Neuling.

Warnung muss sein, begrüßt doch der Wochenmarkt am Karl-August-Platz schon lange nicht nur Wiederholungstäter, sondern vergrößert sein Einzugsgebiet, so scheint es, mit jedem Jahr ein Stückchen weiter. Und findet nicht umsonst Erwähnung bei den Tourismuswerbern von „visit Berlin“. Was Händler aller Coleur jeden Mittwoch und Sonnabend feilbieten, verbreitet sich zwar immer noch durch Marktschreierei. Doch man posaunt es auch auf der eigenen Facebook-Seite in die digitale Welt hinaus, auf dass Smartphone-Dauernutzer zur ursprünglichsten Form des Einkaufs zurückkehren. Lebensmitteln Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken – einfach hip.

Hier im Schatten der Trinitatis-Kirche duftet fangfrischer Kabeljau an gegen gereiften Käse. Der Apfelsaft kommt in nostalgischen, von Hand befüllten Flaschen, der Lavendel ist winterhart, der grüne Smoothie frisch aus dem Mixer. Und über dem Lachen der Knirpse, da dröhnt Stunde für Stunde die Kirchenglocke. Der Mittwoch am Karl-August-Platz: eine kinderreiche Angelegenheit. Vor allen Dingen eine klassenlose.

Da schlendert der Professor in seinem freien Tag hinein. Junge Mütter tragen ihren Nachwuchs vor der Brust geschnallt. Und Arbeitslose auf dem Rückweg vom „Jobpoint“ in der Pestalozzistraße fühlen sich hier willkommener als in klassischer Ku'damm-Lage.

Wohl nicht umsonst steht diese quirlige Mischung derzeit unter besonderer Beobachtung von Politikern, die sie gerne wahren würden: In einer Liste der möglichen Milieuschutzgebiete gilt der Kiez am Karl-August-Platz als einer der wahrscheinlichsten Kandidaten.

Hier erleben Charlottenburger Entschleunigung. Man handhabt Dürüm statt dauerbrummender Telefone. Und frischer Schnittlauch sorgt für Spannkraft. Ein Marktkauf erdet, besänftigt, macht achtsam für das Wesentliche. Steht die Plastiktüte für den hektischen, gedankenlosen Einkauf des Großstädters, trägt man beim Wochenmarkt am besten einen Korb. Jeder Apfel, der hier hineingelangt, wird noch befühlt. Jede Karotte beschnuppert. Die Rosen müssen duften. Die Tomaten nach Öko-Acker schmecken. Anders als bei Gurken unter Supermarktleuchten verzeiht man denen vom Markt nach wie vor ihre übergroße Krümmung.

Und die Kartoffeln? Sie tragen zur Unterscheidung der Sorte Mädchennamen, heißen Celina, Linda und Sieglinde. So handhabt es jedenfalls Stammhändlerin Sylvia. „Es ist einer der schönsten Märkte Berlins – wenn nicht sogar der schönste“, begründet sie ihre Treue. „Hier kaufen ernährungsbewusste Mütter ein. Und Prominente wie Helen Schneider.“

Was zum kompletten Familieneinkauf noch fehlt, erhält man nebenan bei einem echten Urgestein der Szene: Kohl, Tomaten, Zwetschgen – alles mit Zettelchen markiert. Die Handschrift stammt von Eleonore Lehmann, 65 Jahre alt, seit 1994 am Platz. „Wir bauen noch selber an. Und wir spritzen nicht“, verkündet sie mit fester Stimme. „Natürlich hat das seinen Preis. Ich verschleudere hier nichts.“ Und wer seine vollen Beutel nicht um die Kirche schleppen will, findet bei ihr einen Ort zum Zwischenparken. Frau Lehmann langt nicht nur vom Anbau bis zur Waage selber hin. Sie lagert Einkäufe auch gerne ein. tsc

Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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