Ilse Nebel (75 Jahre) pflegt ihre 107-jährige Mutter

Ein Herz und eine Seele sind Ilse Nebel, 75 Jahre, und ihre Mutter Gertrud Nebel, 107 Jahre. | Foto: Matthias Vogel
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Die Nadel des "Kiez-Kompass’" zeigt in dieser Woche auf Wilmersdorf. Dort lebt Ilse Nebel. Sie ist 75 Jahre alt. Das wäre an sich keine Sensation, würde sie nicht in ihren vier Wänden aufopferungsvoll ihre Mutter Gertrud pflegen, die demnächst ihren 108. Geburtstag feiert.

Die Familie Nebel hat ihre Heimat nahe Hannover. 1991 zog es Ilse in die Hauptstadt, wo es eben ein bisschen lebhafter zugeht. Dem guten Kontakt zur Mutter tat das keinen Abbruch. Gertrud kam oft zu Besuch und fand ebenfalls Gefallen an Berlin. 2005 holte Ilse ihre Mama dann aus dem Seniorenheim in Hannover zu sich. „Meine Wohnung war zu klein und ich habe zweieinhalb Jahre vorher begonnen, nach einer geeigneten Bleibe zu suchen“, erinnert sie sich. Und sie erinnert sich auch noch, wie es in den folgenden drei Jahren war: „Bis zu ihrem 99. Lebensjahr war meine Mutter noch alleine mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Ohne Rollator, nicht einmal einen Stock wollte sie. Das muss man sich mal vorstellen. Ich habe mir dann oft mehr Sorgen gemacht als sie.“

"Sie braucht meine Fürsorge"

Von einem Sturz im gleichen Alter erholte sich Gertrud noch ganz gut, anders sah es nach einem Zusammenbruch vor eineinhalb Jahren aus. „Bis dahin konnte ich sie noch immer gut zu Terminen wie Arztbesuchen mitnehmen, das war dann vorbei“, sagt Ilse. Mehr noch. Ihrer Mutter sei es so schlecht gegangen, dass ihre Ärztin bereits einen Platz im Hospiz beantragt hatte. Dass sich Gertrud doch wieder bis zu einem gewissen Grad erholt hat, sei vermutlich der liebevollen Pflege einer vertrauten Person zu verdanken, wirft Siegrid Haase de Moreno ein. Die Leiterin der Kontaktstelle PflegeEngagement (Sekis) mit Sitz in der Charlottenburger Bismarckstraße hatte die Berliner Woche auf die Leistung von Ilse Nebel aufmerksam gemacht und sich dem Besuch bei ihr angeschlossen. „Ich denke auch. Ich merke schon, dass sie meine Fürsorge braucht“, sagt Ilse nebel. „Das ist auch der Grund, warum ich zögere, meine Mutter in ein Heim zu geben. Ich habe Angst, dass sie dort schnell abbaut.“

"Jetzt bin ich eben dran"

Warum sie sich überhaupt dazu entschlossen hat, ihre Mutter zu pflegen, hat für sie einen sehr einfachen, aber guten Grund: Nächstenliebe. „Meine Mutter hat sich auch immer um mich gekümmert. Auch in schwierigen Phasen meines Lebens. Und jetzt bin eben ich dran.“

„Hineingeboren“ wurde sie als gelernte Kauffrau in die neue Aufgabe nicht gerade, aber hineingewachsen ist sie. Als Gertrud vollständig auf die Hilfe ihrer Tochter angewiesen war, ließ sich Ilse zunächst von der Pflegekasse beraten. „Für pflegende Angehörige, die keine Pflegehilfe in Anspruch nehmen und übrigens sehr selten sind, macht die Kasse Hausbesuche“, sagt Siegrid de Moreno. „Eine gute Sache.“ Ilses Tochter ist außerdem Krankenschwester, von ihr lernte Ilse einige nützliche Griffe, mit denen sie ihre Mutter bewegen kann. „Um ein Wundliegen zu vermeiden, muss ich sie alle zwei bis drei Stunden anders hinlegen“, sagt sie. Und auch vom anfänglich unterstützenden Pflegedienst habe sie gelernt.

„Mittlerweile glaube ich, bin ich gar nicht so schlecht als Pflegerin“, sagt Ilse, auch wenn sich die Situation noch einmal verschärft hat. „Meine Mutter leidet seit Neuestem auch an Demenz. Morgens ist sie seither auch mal aggressiv und wehrt sich, wenn ich ihr helfen will“, berichtet sie. Wieder lernt sie dazu. Ganz streng sage sie dann, dass das nun eben sein müsse. „Ungewohnt für uns beide. Aber nur so geht es.“ Mit Beginn der Demenz endete auch die Zeit, in der Gertrud Nebel sich noch gerne von ihrem Zimmer mit Ausblick vor den Fernseher im Wohnzimmer schieben ließ, um ihre Lieblingsserie „Großstadtrevier“ anzusehen. „Das geht nicht mehr, sie bleibt nicht dabei“, sagt ihre Tochter. Im Sommer waren die beiden noch draußen. Immer wenn Ilses Tochter mit ihrem Lebensgefährten zu Besuch war und es das Wetter zugelassen hat, sind sie zum Eisessen auf den Ludwigkirchplatz spaziert. „Wir müssen dann aber den Sonderfahrtdienst anrufen, weil wir die acht Stufen hinunter zum Lift mit meiner Mutter im Rollstuhl sonst nicht schaffen“, sagt Ilse. „Daran habe ich einfach nicht gedacht, als ich mich für die Wohnung entschieden habe.“

Bis zum letzten Atemzug

Wenn Ilse mal ein bisschen länger weg muss, hüten Damen von der Diakonie oder von Sekis ihre Mutter. „Früher, als es noch möglich war, kam oft eine 88-jährige Frau, die mit ihr 'Mensch ärgere dich nicht' gespielt hat. Das war nett“, sagt Ilse. Insgesamt sei ihr Leben aber schon sehr eingeschränkt. Nicht immer schön, zumal sie ob des zwischenzeitlich schlechten Gesundheitszustands von Gertrud gar nicht mit einer längeren Pflegezeit gerechnet habe. „Als das dann klar war, habe ich mir gesagt: Egal was ist, ich versorge sie bis zum letzten Atemzug. Ich habe mich sofort umgestellt. Manchmal staune ich selbst über mich“, sagt sie. Andere pflegende Angehörige zu belehren oder ihnen zu raten, es ihr gleich zu tun, liegt ihr fern. „Ich kann das nicht beurteilen. Das ist auch nicht jedermanns Sache. Ich kann nur sagen: Man glaubt gar nicht, was man noch alles lernen kann.“

Ilse Nebel wünscht sich, dass ihre Mutter noch eine Weile bei ihr leben kann und schließlich sanft aus dem Leben scheidet. Wenn sie eines Tages nicht mehr ist, möchte sie gerne ihre alten Freundschaften beleben und neue knüpfen. Und sie möchte reisen. „Ich wollte immer schon eine Weltreise machen. Aber wenn das nicht klappt, bin ich schon über einzelne Etappen glücklich“, sagt Ilse Nebel. Zeit genug wird sie dafür haben, das Altwerden liegt schließlich in der Familie.

Autor:

Matthias Vogel aus Charlottenburg

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