"Spezialschön" handelt mit Sammlerstücken und Schätzen
Das Schaufenster wischen, das macht sie auch noch selbst. Und wenn Jessica Dietz abends mit einem Tuch über die Nasenabdrücke fährt, kann sie ablesen, was denn heute das größte Interesse weckte. Waren es Lampen im Art-Déco-Stil? Ein Service aus Zeiten, als man noch sonntags bei Großmutter zu Mittag aß? Die Miniatur-Lokomotiven, die sie von einem früheren Borsig-Mitarbeiter erstand?
Das Auswerten von Schaufensterflecken, diese altmodische Art der Marktforschung, ist nicht das einzige, womit sich "Spezialschön" der Neuzeit verweigert. "Ich will Alternativen aufzeigen", sagt die 34-jährige Lichtdesignerin und Ingenieurin. Billig produzierten Möbeln stellt sie die bleibenden Werte von Antiquitäten entgegen. "Heutzutage würde solche Dinge niemand mehr herstellen. Es wäre nicht wirtschaftlich."
Also setzt die Idealistin das Einzelstück gegen die Macht der Massenprodukte, das Ausgefallene gegen die Verödung des Geschmacks. Aber ob sich das rechnet? Diese Frage zu klären, wird ein kleiner Luxus sein. Den durchschlagenden Erfolg in möglichst kurzer Zeit muss "Spezialschön" nicht leisten. Dietz lässt sich ihren Sachverstand als Innenarchitektin und Planerin die erste Hälfte des Tages von Auftraggebern bezahlen, so dass sie den Laden erst nachmittags aufschließen braucht. Nicht alle Geschäftsleute im Kiez könnten sich so eine Strategie leisten. Viele schwimmen von Jahr zu Jahr, eröffnen neue Geschäfte, stampfen die alten ein.
Wer wissen will, wie man in solchen Gefilden erfolgreich wirtschaftet, sollte Sinah Altmann fragen. Als Gründerin der Unternehmensnetzwerks Klausenerplatz und selbstständiger Coach kennt die Expertin Vermieter von Lokalen und kann ihr Wissen an Neulinge vermitteln.
Was es braucht, um hier Fuß zu fassen? Die klare Ausrichtung auf eine Zielgruppe mit passendem Sortiment, etwas Beharrlichkeit, so sieht es Altmann. Viele Unerfahrene mit dünnen Konzepten sah sie scheitern, würde aber lieber rechtzeitig helfen, vor dem Bankrott. "Es ist schon sehr speziell hier", sagt Altmann. "Und man kann nicht pauschal vorhersagen, was funktionieren wird und was nicht." So existiert der Kiez als kleine Welt für sich, gilt als Hochburg für die Experimentierfreudigen und Querköpfe.
Da überrascht es nicht, zu hören, dass Jessica Dietz "menschliche" Gesichtspunkte für die Standortwahl wichtiger waren als wirtschaftliche. Gleich nach der Eröffnung von "Spezialschön" in der Nehringstraße 34 musste sie einer Besucherschar erklären, dass sie hier nostalgische Produkte auswählt, sie persönlich restauriert und im Namen befreundeter Künstler deren Werke verkauft. "Ich habe noch nie in meinem Leben so viel geredet", amüsiert sich Dietz über die unersättliche Neugier. Wenn sie den Kiez "dörflich" nennt, meint sie es im liebevollen Sinne. Das Herzige und Familiäre und Bewahrende stemmt sich in ihrer Philosophie gegen die Ruppigkeit der großen Stadt. "Spezialschön"-Produkte wären Fremdkörper in den Hallen der Möbelketten. Dafür sind sie, so lautet der Slogan, "made in wonderful little Berlin."
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Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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