Wie aus Hans-Dietrich Kühn die "literarische Dame" wurde

"Ich bin keiner, der gerne rausgeht", sagt Hans-Dietrich Kühn. Geprobt wird am heimischen Klavier. | Foto: Matthias Vogel
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  • "Ich bin keiner, der gerne rausgeht", sagt Hans-Dietrich Kühn. Geprobt wird am heimischen Klavier.
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Bekannte Künstler, Berufsfußballer, erfolgreiche Politiker – sie hatten nicht selten Vorbilder, denen sie gerne nacheiferten. Hans-Dietrich Kühn aus Wilmersdorf, 68 Jahre alt, hatte keines – aus gutem Grund: Das was er auf der Bühne macht, gab es vor ihm so nicht.

Der Berliner Kabarettist hat es sich auf seiner Couch in seiner Altbauwohnung in der Uhlandstraße gemütlich gemacht. Ein großer Spiegel mit goldenem, geschwungenem Rahmen hängt an der mit rotem Stoff verkleideten Wand. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Proberaum: Kühn hat aus drei Zimmern eines gemacht. Neben dem Bett am Fenster steht die Skulptur eines Mohres. Er wirkt zufrieden und erzählt von seinem Leben, als wäre es eines von der Stange. Happy kann er durchaus sein, er war als Künstler sehr erfolgreich und ist es bis heute, im vergangenen Jahr feierte er sein 40. Bühnenjubiläum.

Von Klassik zum Kabarett

Glücklich war er aber nicht immer. Es brauchte schon eine Wendung in seinem Leben, das seitdem alles andere als gewöhnlich ist. Klar, schon als Kind hatte er Ambitionen, sang als Elfjähriger Bachkantaten und Volkslieder in einem Kirchenchor und ein wenig später Solo-Partien mit Cembalo-Begleitung. Doch es sollte noch einige Zeit dauern, bis er sein Hobby zum Beruf machte. Ausgebildet als Einzelhandelskaufmann, folgte Kühn 1972 den Rufen des Abenteuers und einer Brieffreundin, kam nach Berlin – und blieb.

Er startete bei Beate Uhse als Assistent, arbeitete in Shops und Kinos viel und hart und sich selbst bis zum Geschäftsführer empor. Das Erotik-Unternehmen stellte ihn unter anderem für ein Projekt aus Sylt ab. Eine Anekdote aus dieser Zeit verrät, was den jungen Kühn viel mehr erfüllte, als ein gewöhnlicher Job: „Ich bin dort abends in Frauenkleidern aufgetreten. Wer unter der Maske steckte, durfte wegen der Arbeit natürlich niemand wissen, also war ich als Gloria Down unterwegs“, sagt Kühn und grinst verschmitzt. Probleme mit dem linken Auge zwangen ihn eines Tages zum Arztbesuch. „Die Ärztin sagte mir, der fast vollständige Verlust der Sehkraft sei psychosomatisch bedingt und ich solle unbedingt meinen Job aufgeben.“ Das machte er – und ebnete damit den Weg in sein neues Leben.

Verplüscht und umgenäht!

1977 eröffnete er die City Bühne „Classic Dream“ im Ku’damm-Karree, das damals einzige literarische Kabarett und Café in Berlin – und spezialisierte sich darauf, literarische Texte zu sprechen oder Lieder – hauptsächlich Chansons – zu singen, die eigentlich für Frauen geschrieben sind. Natürlich in Frauenkleidern und als Frau geschminkt. Das Café richtete er ganz nach seinem Geschmack ein. „Verplüscht und urgemütlich“, sagt er und zeigt Bilder, auf denen der Mohr, heute Erinnerungsstück an bewegte Zeiten, zu sehen ist. Die Vorhänge der eher verglasten Lokalität nähte er selber. „Ich hatte keine Ahnung davon, aber wenn man will, schafft man alles.“ Die Nähe zu den Ku’damm-Bühnen bescherte ihm prominente Gäste wie Boy Gobert, Günther Pfitzmann, Evelyn Künneke und Inge Meysel. Die beliebte Volksschauspielerin war es auch, die Kühns künftige Berufsbezeichnung kreierte. „Sie machen keine Travestie, Sie sind eine literarische Dame“, legte Meysel fest. Seine Vielseitigkeit bescherte ihm auch andere Engagements, namhafte Hotels und Revue-Theater buchten ihn gerne als Confèrencier, wo er charmant und kreativ durch die abendliche Unterhaltungsprogramme führte.

Cabaret der 20er-Jahre

1982, stets steigende Miete hatte den Gewinn mehr und mehr geschmälert, nutzte er die Chance und verkaufte sein Café. „Da kam einer und hat mir das Geld bar über den Tresen geschoben. Da war ich doch fein raus“, sagt Kühn und feixt. In der Folge gastierte die „literarische Dame“ eben auf deutschen und ausländischen Bühnen, trat auf Kreuzfahrtschiffen wie dem Traumschiff MS Berlin auf und war Gast im Hörfunk und Fernsehen. Von 1992 bis 2007 gastierte Kühn im Französischen Hof am Gendarmenmarkt mit seinem Cabaret-der-20er-Jahre-Programm.

Noch immer wird er gerne gebucht. „Erst am vergangenen Sonntag war ich unterwegs“, sagt er. Noch immer ist er mit großer Leidenschaft dabei. Etwas, was ihn nach eigener Einschätzung von anderen Künstlern abhebt. „Ich habe Kollegen erlebt, die hatten eine tolle Ausbildung. Aber bei mir kam da nichts an, ich habe keine Gänsehaut bekommen. Ich lebe das, spiele mit dem Publikum und ich sehe alles. Ich sehe, wenn jemand eine Träne verdrückt oder bei einem Scherz lachen muss. Das baue ich dann mit ein.“ Ein Lied, ein Gedicht, ein Lied, ein Gedicht – so läuft ein Programm von Hans-Dietrich Kühn ab. „Meist geht es um die Ehe, da lässt sich natürlich gut mit arbeiten“, sagt er.

Noch lange nicht Schluss

Wenn es nach ihm geht, würde er seinen Beruf gerne noch 20 Jahre lang ausüben, so gut fühlt er sich noch und so gut gefällt ihm, was er macht: Proben am heimischen Klavier mit eingeladenen Pianisten, stundenlang an der Verkleidung und dem Make-up feilen und schließlich sein Publikum unterhalten. Wunschlos glücklich ist Kühn, der nach eigenem Bekunden aus ärmlichen Verhältnissen stammt und daher Bescheidenheit zu seinen Eigenschaften zählt, nicht. „Ich würde gerne noch einmal auf einer Bühne in einer Lokalität hier in der Uhlandstraße stehen. Da habe ich immer gute Erfahrungen gemacht." Ach ja, und einen festen Begleiter am Klavier hätte er gerne. Einen mit Leidenschaft. „Chansons zu begleiten ist nicht ganz einfach“, sagt er.

Nächster Auftritt am 11. Februar

Ein Vorbild hatte Hans-Dietrich Kühn keines, aber er könnte selbst gut als eines dienen. Sein Leben umzukrempeln, wenn es einen unglücklich macht, dafür braucht es Kraft, Willen und Durchsetzungsvermögen. Talent hat er sowieso, sonst gäbe es ihn nicht mehr auf den Bühnen der Stadt. Wer möchte, kann schon bald Zeuge davon werden: H.D. Kühn, die literarische Dame, ist am Sonntag, 11. Februar, in der Galerie B1 (Belziger Straße 1 in Schöneberg) zu Gast. Ab 18 Uhr heißt es einmal mehr „Cabaret der 20er Jahre“. Der Eintritt ist frei. Ein Chansonnier und Damendarsteller, keiner speziellen Szene oder der Travestie zuzuordnen, das ist Hans-Dietrich Kühn.

Autor:

Matthias Vogel aus Charlottenburg

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