Bürgermeister Reinhard Naumann über Mieten, Gärten und Willkommenskultur
Welcher Moment im vergangenen Jahr war für Sie der schwierigste und welcher der schönste?
Reinhard Naumann: Der schönste Moment war zweifellos das 25-jährige Jubiläum des Mauerfalls. Auch ich habe als Kind in einer geteilten Familie erfahren, was die Teilung Berlins bedeutet. Es war wunderbar, zu erleben, wie das Fest rund um den 9. November von den Menschen angenommen wurde und wie sie sich entlang der Grenzlinie auf Spurensuche begaben. Wildfremde Leute erzählten sich gegenseitig ihre Geschichten dieser friedlichen Revolution. Schwierig ist alles, was mit der personellen Situation der Bezirke zusammenhängt. Die Bürgermeister haben gegenüber Senat und Abgeordnetenhaus parteiübergreifend deutlich gemacht, dass eine wachsende Stadt Personalzuwachs benötigt. Wir brauchen dringend wieder junge Menschen im öffentlichen Dienst. Denn unser Altersdurchschnitt kratzt an der 50-Jahre-Grenze. Unterstreichen möchte ich, wie viel unsere Beschäftigten momentan leisten. Das wird zu wenig wertgeschätzt.
Das Jahr 2015 beginnt ohne das Rathaus Wilmersdorf. Wie fühlt sich das an?
Reinhard Naumann: Es ist ein zwiespältiges Gefühl. Der Schmerz über die Aufgabe des Rathauses Wilmersdorf lässt sich nicht wegwischen. Zufrieden bin ich hingegen, weil es trotz aller Unkenrufe gelungen ist, das Ziel zum Jahreswechsel zu erreichen. Inzwischen fragen andere Kommunen bei uns an, wie wir das bewerkstelligt haben. Richtig ist, dass der Umzug teurer ausfällt als geplant. Denn wir haben Baumaßnahmen an den verbleibenden Dienstgebäuden, die in den nächsten Jahren auf uns zugekommen wären, mit in Angriff genommen. Von nun an werden wir uns pro Jahr um 2 bis 3 Millionen Euro entlasten und Angebote im sozialen und kulturellen Bereich erhalten.
Unter welchen Umständen ist die Kleingartenkolonie Oeynhausen noch zu retten?
Reinhard Naumann: Wir haben deutlich gemacht, dass wir bei einer vollständigen Sicherung der Kolonie, die sich auf privatem Grund befindet, mit Millionen Euro teuren Entschädigungszahlungen zu rechnen haben. Nach meiner Einschätzung liegen die Fakten auf dem Tisch. Und es muss im Laufe des Jahres entschieden werden - unter Einbeziehung der Bürger und nach Abwägung der finanziellen Risiken. Das führt zu der Frage zurück, inwiefern die Beteiligten bereit sind, Kompromisse einzugehen. Noch eine Anmerkung: Ich habe in 25 Jahren als Kommunalpolitiker noch nicht erlebt, dass so oft Grenzen des Anstands überschritten worden sind gegenüber politisch Verantwortlichen, die versuchen, in einer Situation, die sie nicht ursprünglich zu verantworten haben, das Bestmögliche zu machen. Unberechtigte Korruptionsvorwürfe einfach in die Welt zu setzen, empfinde ich als eine völlig unnötige Verschärfung.
Was wünschen Sie sich vom neuen Regierenden Bürgermeister Michael Müller?
Reinhard Naumann: Ich wünsche mir, dass der neue Senat und das Abgeordnetenhaus es schaffen, den dringend benötigten Wohnungsneubau zu realisieren - und zwar auf einem für die Menschen bezahlbaren Niveau. In Charlottenburg-Wilmersdorf haben wir mit der TU Berlin und der UdK zwei renommierte Universitäten. Und die Studierenden, vor allem aber junge Familien, benötigen bezahlbaren Wohnraum. Ich wünsche mir, dass hier Blockaden und Egoismen überwunden werden. Sonst droht ein Zerwürfnis zwischen den Habenden und den Suchenden.
Welche Aussichten geben Sie bezüglich der Haushaltssituation im neuen Jahr?
Reinhard Naumann: Unser Haushalt ist seit Jahren auf Kante genäht. Wir leben von der Substanz. Das sehen wir daran, dass die jährlich 6 Millionen Euro für den Erhalt der sozialen Infrastruktur benötigt werden. Mit kluger Finanzpolitik ist es bisher gelungen, keine neuen Schulden aufzubauen. Das ist mein Ziel auch für 2015.
Was erwartet die Bürger ansonsten im neuen Jahr?
Reinhard Naumann: Wir müssen weiterhin unsere Willkommenskultur pflegen. Die gilt für Unternehmer, die Arbeitsplätze schaffen wollen, aber auch für Menschen in Not. Wir sehen täglich im Fernsehen, wie und warum sie sich auf die Flucht begeben. Und Charlottenburg-Wilmersdorf hat Solidarität gezeigt. Mit Blick auf die Notwendigkeit zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge wünsche ich mir, dass wir uns dem auch in Zukunft nicht verschließen.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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