100 Jahre Groß-Berlin
Charlottenburg wurde gegen seinen Willen eingemeindet
Geht es um die Fusion der vielen kleineren und größeren Städte und Gemeinden zu einem Groß-Berlin im Jahr 1920, ist immer von einem Charlottenburg die Rede, das sich bis zuletzt weigerte, beizutreten. Grund ist ein enormes Selbstverständnis, das sich aus Reichtum und dem eigenen rasanten Wachstum speiste.
„Die Braut wollte umworben werden, was Berlin damals nicht so recht gelang“, sagt Historiker Eike Lorenzen-Schmidt, der gerade in der Stadtbibliothek ein Praktikum absolviert. Berlin habe dann irgendwann die Eingemeindung angeordnet. „Vermutlich nicht ganz rechtens“, sagt er.
Die breite Brust der Charlottenburger
Um die breite Brust der Charlottenburger zu erklären, lohnt ein Blick in die noch weiter zurückliegende Geschichte. Nach dem Tod von Königin Sophie Charlotte und unter der Ägide von König Friedrich I. verlor Charlottenburg zunächst die zuvor gewährten königlichen Privilegien. Berlin und Potsdam prosperierten, während der König darüber nachdachte, Charlottenburg in den Status eines Dorfes zurückzuführen. Friedrich der I. starb 1740, zehn Jahre später entdeckten die Charlottenburger Ackerbürger quasi den Tourismus. Gasthöfe und Schankwirtschaften entstanden, Industrie und Handwerk siedelten sich an, später auch zahlreiche Mühlen in der Mühlenstraße, der heutigen Bismarckstraße. Siemens war da, die Königliche Porzellan Manufaktur auch. Die Bevölkerung wuchs erst stetig, dann rasant: 20.000 Einwohner waren es 1870, 30 Jahre später bereits 180.000. In dieser Zeit entwickelte sich Charlottenburg zu einer der größten und reichsten Städte Preußens.
Rathaus höher als das Schloss Charlottenburg
Ausdruck des unglaublichen Selbstbewusstseins war der Bau des Rathauses, das 1905 eingeweiht wurde und in dem heute Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) die politischen Fäden in den Händen hält. 89 Meter ist der Rathausturm hoch, höher als der Turm des Schlosses Charlottenburg – damals eine Machtdemonstration des Bürgertums gegenüber dem Kaiserhaus. „Und nun sollte der Oberbürgermeister von Charlottenburg nur noch Bürgermeister sein und Anordnungen aus Berlin befolgen? Das ging natürlich gar nicht“, sagt Lorenzen-Schmidt. Letztendlich musste sich Charlottenburg nicht nur dem Machtwort Berlins, sondern auch dem enormen Siedlungsdruck beugen. „Die Städte wuchsen in atemberaubendem Tempo aufeinander zu. Es gab keine Wahl“, so Lorenzen-Schmidt.
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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