Das war das Jahr 2015 in Charlottenburg-Wilmersdorf
Charlottenburg-Wilmersdorf. Das Jahr 2015 geht zu Ende. In der Berliner Woche haben wir Sie über Ereignisse informiert, Probleme aufgegriffen und Menschen vorgestellt. Jetzt ist es Zeit für einen Rückblick.
Januar
Als die ersten Gerüchte aufkeimten, ließen kritische Reaktionen nicht lange auf sich warten: Der Umbau der ehemalige Psychiatrie in der Eschenallee zur Flüchtlingsunterkunft rief Ängste wach, das soziale Gefüge im gutbürgerliche Westend könne in Schieflage geraten. Doch dank des Einsatzes der Initiative „Willkommen in Westend“ sollte sich die Stimmung bald drehen.
Veränderungen griffen auch auf den Bürgersteigen der City West: Hier traten verschärfte Regeln in Kraft, was die gastronomische Nutzung des Pflasters anbelangt. Zum Zorn der Wirte.
Lockt der verwahrloste Olivaer Platz tatsächlich Verbrecher an? Polizei-Fachfrau Ingrid Hermannsdörfer sorgte genau mit dieser kritischen These für Zündstoff in der Debatte über das Für und Wider eines Umbaus. Und wie sich herausstellen sollte, wurde ihre Warnung erhört.
Die Hoffnung fahren lassen mussten Unterstützer des Bürgergartens der Erinnerung auf einem Villengrundstück in der Wissmannstraße – hier ließ der Eigentümer nicht mit sich reden und beschloss die Bebauung jener Grünfläche, die einst dem jüdischen Kaufmann Artur Barasch gehörte.
Februar
„Wir wollen die Spiele“ – das rief man im Bezirk besonders laut, hat man doch in Westend geeignete Anlagen für Olympia vorzuweisen. Und dennoch war der Bewerbungskampagne kein Erfolg beschieden. Berlin konnte nicht und Hamburg wollte nicht.
Glücklich waren die Berliner hingegen, das Aschinger-Haus als Fraß für Abrissbagger zu sehen. Investor Hines stellt an dieser Stelle ein neues Geschäftshaus hin.
Mitten in den kältesten Tagen des Jahres sorgte der Rheingauer Weinbrunnen für erhitzte Gemüter. Denn das Bezirksamt musste sich abermals der juristischen Attacken eines Anwohners am Rüdesheimer Platz erwehren, der das Spektakel einschränken will. Auch diesmal gelang es ihm nicht.
Derweil formierte sich zur Schlichtung des Streits über den Olivaer-Platz-Umbau ein Runder Tisch.
März
Stadtweit für Furore sorgte ein Antrag von Piraten und Linken, Witzlebenstraße und -platz zugunsten der Behindertenrechtlerin Margarethe von Witzleben umzuwidmen. Er fand aber keine Mehrheit, so dass der preußische Minister Karl Ernst Job von Witzleben sein „Revier“ behielt.
Dass lieber alles beim Alten bleiben sollte, empfahl auch ein Gutachten für das ICC. Ein Umbau zur Shoppingmall, so hieß es, wäre eine kaum verkraftbarer Schlag für die meisten Geschäftsstraßen im Bezirk.
Sind Müllschlucker modern oder überkommen? Letzteres befand die Degewo im Hinblick auf die Absauganlage in der Wohnanlage an der Schlangenbader Straße. Auch Protestaktionen der Anwohner konnten die Schließung nicht mehr stoppen.
Empörte Worte von Seiten der Bürger setzte es auch zum wiederholten Male gegen die Genehmigung eines Wohnriegels an der Seesener Straße, die das Bezirksamt ohne Debatte in der BVV erteilt hatte. Dass hier 220 neue Haushalte entstehen, sahen Fürsprecher hingegen als wichtiges Zeichen für eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt.
April
Gedenkkultur zu ehren von uniformierten Freunden: Der Verein „West Alliierte Berlin“ eröffnete ein Museum voller Erinnerungsstücke im Olympiapark und kehrte der früheren Heimat in Tempelhof den Rücken.
In Erinnerungen schwelgte auch das Europa-Center am Breitscheidplatz, galt es doch das 50-Jährige Bestehen zu begießen. Länger am Markt ist kein anderes Einkaufszentrum Berlins.
Bis dato war Wilmersdorf vor der Eröffnung großer Flüchtlingsheime verschont geblieben – doch die Gründung des Bündnisses „Willkommen in Wilmersdorf“ zum Frühjahr geschah mit Weitblick. Denn harte Bewährungsproben für die Hilfsbereitschaft sollten folgen.
Seit 30 Jahren mit Nachrichten, Rat und Hilfe zur Stelle: Die Berliner Woche in Wilmersdorf – sie feierte im April ein rundes Jubiläum.
Mai
Noch ragte es kaum aus der Baugrube heraus – doch im Mai verkündete Investor Strabag für das neu entstehende „Upper West“ am Breitscheidplatz eine Vermietungsquote von über 60 Prozent.
Seit Längerem voll Ausgelastet: der Zentrale Omnibus Bahnhof (ZOB). Hier reifte im Frühjahr beim Senat und der BVG ein lang erwarteter Plan heran: die Modernisierung und Erweiterung der Abfertigungsplätze von 27 auf zukünftig 37 ab 2016.
Sind Szenarien von millionenschweren Risiken bei einer Rettung der Kleingartenkolonie Oeynhausen ein Bluff? Zu dieser Schlussfolgerung kam jedenfalls ein Gutachten von CDU und Piraten. Doch es sollte sich zeigen: Der Jubel der Gärtner kam zu früh.
Unterdessen spitzte sich der Streit um den Olivaer Platz trotz des Runden Tisches weiter zu: So unterstellten Anwohner dem Bezirk, dass er den einstigen Schmuckplatz absichtlich verrotten lässt, um einen Umbau zu erzwingen.
Juni
Paukenschlag im Stadtentwicklungsausschuss: Zum ersten Mal erfuhr die Öffentlichkeit von einem Plan zum Abriss des berühmten Hotels Kempinski. Und es entbrannte eine Diskussion darüber, inwiefern Ikonen der West-Berliner Ära vor der Baulust von Investoren zu schützen sind.
Keine Einwände gab es gegen den Bau des Bürokomplexes „Palais Holler“ – dem ersten echten Ku'damm-Neubau seit vielen Jahren.
Was wird aus dem brachliegenden Schoeler-Schlösschen in der Wilhelmsaue? In absehbarer Zeit offenbar nichts. Denn der Umbau des Kleinods zum soziokulturellen Zentrum rückte in weite Ferne, als die Lotto-Stiftung diesem Sanierungsfall das Geld versagte.
Keine Zukunftssorgen gibt es um das Naturschutzzentrum Ökowerk im Grunewald – es feierte zum Sommeranfang sein 30-jähriges Bestehen.
Juli
Zu Fuß gehen mussten plötzlich diejenigen, die eben noch am Steuer von Sportwagen saßen. Denn die Polizei hatte bei einer Kontrolle illegale Tuning-Maßnahmen rigoros bestraft – oft genug hatten ja Anwohner des Kurfürstendamms gegen die Raserszene protestiert.
Ebenfalls den Geschmack der meisten Bürger traf die Entscheidung, das ICC ab 2018 zu sanieren. Sehr viel schneller gelang die Herrichtung des Hauses für Flüchtlinge.
Badende Hunde im Grunewaldsee? Möglicherweise bald ein Fall für das Ordnungsamt. Denn im Bezirk entbrannte eine Debatte darüber, ob man das Ufer ähnlich wie manche Zehlendorfer Gewässer von den Vierbeinern befreien soll.
Frei von illegalen Asia-Feldküchen soll die große Wiese der Preußenparks einer gepflegteren Zukunft entgegenblicken – so forderte es die CDU. Und hörte laute Widerworte der übrigen Fraktionen.
August
Erst ein „Soft Opening“, kurz darauf die offizielle Eröffnung: Mit dem „Theater Größenwahn“ ist die City West um eine deutsch-jüdische Spielstätte reicher.
Besser aufgestellt präsentierte sich ab August die Mobile Einzelfallhilfe der Berliner Stadtmission. Dank finanzieller Unterstützung der BVG schuf man eine dritte Stelle für Sozialarbeiter, die Obdachlose zurück in die Gesellschaft holen.
Fort mit dem leerstehenden Telekom-Gebäude, her mit 160 Wohnungen: Investor „Bauwert“ präsentierte einen Neubauplan, wonach der Hochmeisterplatz zum Zuhause für mehrere hundert Berliner wird.
Eine neue Heimat fanden dann 500 Flüchtlinge im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf. Ehrenamtliche Helfer, die sich per Internet und durch „Willkommen in Wilmersdorf“ organisiert hatten, waren sofort zur Stelle.
September
Früher Hofspediteur des Kaisers, heute ein Global Player: Das Familienunternehmen Hertling feierte seinen 150. Geburtstag und gab den Charlottenburgern Einblicke in die Welt des Umzugs-Business.
Kurz darauf verbreitete sich die Nachricht von einem neuen Großprojekt in einem vergleichsweise jungen Ortsteil. Am Halemweg in Charlottenburg-Nord wird das Schulzentrum einem neuen Stadtquartier mit 200 günstigen Wohnungen weichen.
Und kaum waren die Neulinge einquartiert, erfuhren Bezirkspolitiker und Helfer von der nächsten Bewährungsprobe: der Eröffnung eines zweiten Lageso-Sitzes im ehemaligen Landesbank-Hochhaus an der Bundesallee.
Als leuchtendes Vorbild soll der Gerhart-Hauptmann-Park gelten – so will es die Bürgerinitiative Fasanenplatz. Und startete im September eine Spendenkampagne zur Beschaffung von zusätzlichen innovativen Solarlaternen.
Oktober
Macht das Café Kranzler für immer zu? Mitnichten, wie die Eigentümer des Neuen Kranzler Ecks im Stadtentwicklungsausschuss versicherten. Sie präsentierten einen Plan zur Modernisierung des Areals, der aber auf wenig Begeisterung stieß.
Nach den Turnhallen im Olympiapark und einigen Messehallen fand im Oktober auch die leergezogene Poelchau-Schule am Halemweg eine neue Bestimmung als Flüchtlingsheim. Es fanden 350 Personen Unterschlupf – vor allem Familien.
Für einen Tag am Ziel ihrer Träume fühlte sich die wohl professionellste Bürgerinitiative des Bezirks – und sorgte beim „Paradies Bundesplatz“ dafür, dass Tausende Anwohner einen autofreien Sonntag als Volksfest genossen.
Derweil eröffnete die Lageso-Filiale in der Bundesallee mit einem Konzept, das die befürchtete Belagerung durch Flüchtlinge ausschließt.
November
Und gleich darauf die nächste Beschlagnahmung. Diesmal belegte das DRK im Auftrag des Lageso ein ehemaliges Pflegeheim in der Marburger Straße mit 330 Flüchtlingen. Und erhielt sofort Hilfe von prominenten Nachbarn wie der AG City.
Aufhorchen ließ zugleich der Zoologische Garten. Zum einen stand fest, dass die Berliner bald wieder Pandas bestaunen können. Zum anderen feierte ein Entwicklungsplan Premiere, der den Bau der größten Elefantenanlage Deutschlands als Ziel nennt.
Erst ein schwerer Schlag für die Kleingartenkolonie Oeynhausen, dann ein Hoffnungsschimmer. Nachdem Baustadtrat Marc Schulte infolge eines Gerichtsurteils feststellte, dass er die Lauben nicht retten kann und dem Bau von Wohnungen auf dem Gelände zustimmen muss, wird neu verhandelt. Bestenfalls die Hälfte der Kolonie wäre noch zu retten.
Ebenfalls keine Chance gibt es mehr für den Wunsch einer Bürgerinitiative vom Olivaer Platz, den Umbau zu verhindern. Er wird nun eine „multifunktionelle“ Fläche.
Dezember
Wieder Neues vom Neuen Kranzler Eck. Jetzt hatten die Eigentümer ihr Umbaukonzept nochmals verfeinert – und präsentieren die Idee einer Dachterrasse für das Café Kranzler. Sollten Denkmalschützer zustimmen, blickt man hier künftig herab auf das Treiben am wichtigsten Boulevard der Stadt.
Alles andere als glamourös geht es gleich nebenan am Bahnhof Zoo zu. Hier dient das neu eröffnetes Hygiene-Center als Badezimmer für alle, die kein Zuhause mehr haben.
Zum Ende des Jahres hat die Platznot ein Höchstmaß erreicht – und das Lageso beginnt auch in Wilmersdorf wieder damit, Turnhallen als Flüchtlingsquartiere zu beschlagnahmen. Erst traf es die Halle in der Prinzregentenstraße, kurz darauf die Werner-Ruhemann-Sporthalle in Schmargendorf. Über 5000 Flüchtlinge lebten zuletzt in Charlottenburg-Wilmersdorf – so viele wie in keinem anderen Bezirk. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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