Ein unbehaglicher Kiezspaziergang: Verein verdeutlich Mieterverdrängung
Die MieterWerkStadt Charlottenburg hat zu einem Spaziergang durch den Klausenerplatz-Kiez eingeladen, um auf konkrete Fälle von Mieterverdrängung aufmerksam zu machen. Mehr als 50 Bürger liefen mit - und wer von ihnen nicht vorher bereits entrüstet war, ist es jetzt.
Die Resonanz auf die stadtweite Groß-Demonstration "Mietenwahnsinn" vor einigen Wochen machte deutlich: Es brodelt, die Toleranzgrenze vieler Mieter ist überschritten. Das war auch bei der Veranstaltung der MieterWerkStadt zu spüren. "Die Wohnungsnot und die daraus resultierende, sich stetig schneller drehende Mietpreisspirale führen immer mehr Mieter an die Grenzen ihrer finanziellen Belastbarkeit. Selbst in Kiezen, in denen das Leben auf Außenstehende beschaulich und unbeschwert wirkt, geht die Sorge unter den Anwohnern um, wie lange sie dem Preisdruck noch standhalten und in ihrer angestammten Umgebung wohnen", verkündete Wolfgang Mahnke von der MieterWerkStadt vor dem Start durch sein Megafon. "Dieser Druck wird vor allem angeheizt durch Maßnahmen zur Steigerung des Profits, wie die Modernisierung, die den Vermietern eine Umlage von elf Prozent des Modernisierungsaufwands beschert, oder die hochprofitable Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen."
Besucht wurden elf Häuser am Klausenerplatz sowie an der Gardes-du-Corps-, der Danckelmann-, Nehring- und Seelingstraße. "Wohnungen werden in diesen Straßen zu einer Miete von knapp unter 15 Euro kalt pro Quadratmeter angeboten", schallt es aus dem Megafon. Vor Repressalien seien Mieter insbesondere in den zur Umwandlung vorbereiteten Häusern nicht sicher. "Zu Räumungsersuchen und -klagen wird versucht, Mieter durch konsequentes Unterlassen der Gebäudeunterhaltung zum Auszug zu nötigen", so Mahnke.
In der Seelingstraße wurde deutlich, dass Verdrängung nicht mehr nur ein Problem für Privatmieter ist, sondern auch das Gewerbe trifft. Manfred Schumacher musste aus seinem Laden für afrikanisches Kunsthandwerk in der Danckelmannstraße 19 ausziehen, weil sich seine Miete nach Eigentümerwechsel um 120 Prozent erhöhen sollte. "Das war für so ein kleines Einzelhandelsgeschäft, wie ich es betreibe, wirtschaftlich natürlich nicht zu tragen." Glücklicherweise habe er dann in der Seelingstraße 37 einen Vermieter gefunden, der die Preistreiberei nicht mitmacht. "Andere Kollegen hatten dieses Glück nicht."
"Ein reines Spekulationsobjekt ist das"
In der Danckelmannstraße 14 offenbarte sich dem Tross dann ein besonders übler Fall. Das Hinterhaus sei 2008 von der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag an einen Investor mit Sitz im Ausland verkauft worden, obwohl die Mieter es zu einem höheren Preis hätten erstehen wollen, wie ein Vertreter der MieterWerkStadt berichtete. "Jetzt herrscht vorwiegend Leerstand, das Haus verfällt systematisch. Es gibt kein Licht, kein warmes Wasser." Ein weiteres Vereinsmitglied sagte: "Es wird zur Zwischenmiete genutzt, ich schätze durch Saisonarbeiter. Die alten Mieter sind terrorisiert worden und längst weg." Ein reines Spekulationsobjekt sei das, und die größte "Schweinerei" sei die, dass es eben von einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft verkauft wurde. Weitere traurige Fälle pflastern den Kiezspaziergang, aber es sind nicht alle. "Wir haben wirklich nur einige ausgewählt", heißt es.
Um weiteren Modernisierungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen entgegenzuwirken, hat die MieterWerkStadt Charlottenburg Anfang 2017 einen Einwohnerantrag auf Milieuschutz in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingebracht. Mit Erlass der Erhaltungssatzung werden Modernisierungen und die Umwandlung unter bezirklichen Genehmigungsvorbehalt gestellt. Die BVV ist diesem Antrag gefolgt. Jetzt hofft der ganze Kiez, dass die Satzung besser heute als morgen greift. "Jeden Tag, der ohne diesen Schutz vergeht, können weitere Anwohner unwiederbringlich aus dem Kiez verdrängt werden", sagte Mahnke. Auch die Mittel, die das Zweckentfremdungsverbotsgesetz bietet, müssten endlich konsequent genutzt werden.
Politprominenz unter den Demonstranten
Unter den Demonstranten hatten sich auch die beiden Bundestagsabgeordneten Lisa Paus (Grüne) und Hans-Dieter Gröhler (CDU) gemischt. Gröhler nannte auf Nachfrage Maßnahmen, mit denen der Bund die Situation auf dem Wohnungsmarkt der Großstädte entschärfen will: "Der Mietpreisspiegel soll bindungsrechtlich drei Jahre gelten anstatt zwei. Zweitens werden in den beiden Jahren 2020 und 2021 zusätzlich zu den Mitteln, welche die Bundesländer ohnehin erhalten, zwei Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau investiert. Das Problem in den vergangenen Jahren war, dass die Länder dieses Geld nicht zweckgebunden verwenden müssen. Das ist gerade in Berlin auch nicht geschehen. Ich hoffe, jetzt wird klüger mit den Mitteln umgegangen." Und künftig sollten Modernisierungen nicht mehr zu elf Prozent auf die Mieter umgelegt werden können, sondern nur noch zu acht.
Paus sagte, auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene müssten alle möglichen Maßnahme ergriffen werden, um der Entwicklung Einhalt zu gebieten. Die wichtigsten Änderungen müsste der Bund auf den Weg bringen: "Mehr Geld für den sozialen und gemeinnützigen Wohnungsbau, eine funktionierende Mietpreisbremse und die Rechte der Mieter gegenüber den Vermietern bezüglich unnötiger Modernisierungen stärken", lautet ihre Forderung. Die Veranstaltung der MieterWerkStadt hält sie für enorm wichtig, weil sie greifbar macht, was eigentlich abstrakt ist. Der Verein hat bereits einen nächsten Protestmarsch angekündigt.
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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