Kunstinstallationen zeigen die zerstörte Vielfalt
Den Auftakt der Reihe "Spuren, Hohlräume, Lehrstellen - Jüdisches Leben am Kurfürstendamm" macht vor der Hausnummer 28 "Café Wien - ein Familienporträt" der seinerzeit bekannten und erfolgreichen Gastronomenfamilie Kutschera (Café Wien, Zigeunerkeller, Filmbühne Wien). Geschaffen hat sie der Linzer Alexander Jöchl.Ganz unspektakulär, gar bescheiden erscheint die Installation auf den ersten Blick: ein Gedeck für vier Personen, eine alltägliche Familiensituation. Doch hier ist nichts alltäglich. Teller und Tassen sind umgedreht, auf dem Boden stehen Sätze aus persönlichen Dokumenten: "Bist du schon wieder gesund", niedergeschrieben am 26. März 1938, oder: "Noch immer keine Nachricht", nach Kriegsende 1945.
Die Installation ist laut Michael Fehr, Direktor des Instituts Kunst im Kontext an der Universität der Künste (UdK), etwas für den zweiten Blick. "Sie erinnert an die zunehmende Isolation der Familie durch die Verfolgung der Nationalsozialisten und auch daran, dass diese Familie nach 1945 so niemals mehr zusammengekommen ist", erläutert Elisabeth Weber. Die Historikerin am Deutschen Historischen Museum hat speziell zur Familie von Karl Kutschera geforscht. Ihre Arbeit diente dem Künstler als Grundlage für sein Werk.
"Ziel ist es, die Passanten des Kurfürstendamms für einen Moment in ihrer Konsum- und Flanierlaune zu unterbrechen, zu informieren und zu bewegen", so die Kuratorin Katja Jedermann vom Institut Kunst im Kontext. Kleine Erinnerungsstücke sollen aufscheinen lassen, was der Boulevard bis zu den 30er-Jahren war: das pulsierende Herz des Berliner Westens, Wohn- und Arbeitsplatz von Künstlern, Wissenschaftlern, Ärzten, Geschäftsleuten. Unter aller Augen wurden sie nach und nach in nur wenigen Jahren diffamiert, verfolgt, zum Verkauf, Auszug und zur Emigration gezwungen, deportiert und ermordet.
Die Idee für das Installationsprojekt hatte Sonja Miltenberger vom Archiv des Museums Charlottenburg-Wilmersdorf. Miltenberger hatte vor drei Jahren eine ausführliche Studie zum Leben an der Prachtmeile ("Von Haus zu Haus am Kurfürstendamm") erarbeitet.
Rainer Klemke, Berater der Kultursenatsverwaltung und der Kulturprojekte GmbH, betont, dass das Vitrinen-Projekt wie auch die Stadtmarkierungen, etwa vor den Kurfürstendamm-Theatern, das Thema NS-Zeit in Berlin auf lokaler Ebene und biografisch behandle. Das mache möglich, "vor Ort die Menschen in das Bewusstsein der nunmehr 2,1 Millionen Neubürger und ihrer Gäste zu rufen, die unsere Stadt bis heute prägen, ohne dass dies den meisten bewusst ist. Damit widersetzen wir uns dem Ziel der Nazis, die diese Berliner für immer aus dem Gedächtnis der Stadt löschen wollten. Wir bringen unseren jungen Menschen der Wert der als selbstverständlich erachteten Freiheit und Vielfalt nahe, die wir heute genießen können, die wir aber immer wieder neu behaupten müssen."
Kulturstadtrat Klaus-Dieter Gröhler hebt hervor, dass das Thema durch die Vitrinen-Ausstellung viel besser an die Menschen herangetragen werde. "Das, was wir in den Museen zeigen, erreicht nicht jeden."
Extra aus Kalifornien angereist ist Jerry Kay. "Alexander Jöchl bringt die Kutscheras zumindest zeitweilig zurück an den Kurfürstendamm." Karl Kutscheras Enkel erlebte Berlin zum ersten Mal im zarten Alter von drei Jahren, 1950. Da war sein Großvater gerade gestorben. "Mein Vater fand hier Freunde wieder, ich habe neue gefunden. Freundschaft hat Hass und Verbitterung besiegt", sagt der 66-jährige US-Amerikaner.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.