"Das eine Problem gibt es nicht"
Letzte Berliner Anlaufstelle für Alleinerziehende eröffnet
Berlin ist die Hauptstadt der Alleinerziehenden. Auch in Charlottenburg-Wilmersdorf organisiert in rund 30 Prozent der Familien nur ein Elternteil die Kindererziehung. Eine neue Beratungsstelle hilft Alleinerziehenden dort weiter.
Alleinerziehend zu sein, ist nicht leicht. Mann muss buchstäblich alles allein hinkriegen. Geldnöte belasten zusätzlich. Auch Beziehungskonflikte oder der Streit ums Sorgerecht. Doch nicht immer will man damit gleich zum Amt oder Anwalt. Oder weiß nicht, welche Behörde zuständig ist. „Viele sind überfordert und brauchen schnell Klarheit“, sagt Julia Helmert. „Dann komme ich ins Spiel.“ Die 34-Jährige arbeitet in der neuen Anlaufstelle für Alleinerziehende an der Seelingstraße. Dort berät sie unbürokratisch Mütter und Väter, hat ein offenes Ohr für alle Sorgen und Nöte, gibt passgenaue Hilfen und Angebote.
Fast 30 Prozent aller Familien im Bezirk sind sogenannte Einelternfamilien. In etwa 8800 Haushalten kümmert sich ein Elternteil allein um die Kinder. Laut Landesamt für Statistik wohnen die meisten Alleinerziehenden rund um den Volkspark Wilmersdorf, in Jungfernheide und in der Paul-Hertz-Siedlung in Charlottenburg-Nord, gefolgt von den Kiezen am Amtsgerichtsplatz und am Klausenerplatz. Die Problematik: Alleinerziehende haben nachweislich ein deutlich höheres Armutsrisiko und damit weniger Chancen teilzuhaben, weil ihnen das Geld fehlt. Sie müssen Alltag und Arbeit allein bewältigen und sind daher auch gesundheitlich stärker belastet. Ausgedrückt in Zahlen heißt das, in Charlottenburg-Wilmersdorf sind die Hälfte aller Kinder, die mit ihrer Familie Bürgergeld beziehen, Kinder von Alleinerziehenden, konkret über 4200 Kinder. Der Anteil von Alleinerziehenden mit Sozialleistungen liegt im Bezirk bei knapp 30 Prozent. Die Mehrheit von ihnen wohnt mit 55 Prozent in Charlottenburg-Nord.
In den anderen zwölf Bezirken sieht es nicht besser aus. Berlin nennt man daher auch die Hauptstadt der Alleinziehenden. Um ihnen vor Ort gezielt zu helfen, hat der Senat 2018 ein Förderprogramm für solche Koordinierungs- und Anlaufstellen aufgelegt. Die erste gab es in Neukölln, es folgten Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf. Charlottenburg-Wilmersdorf ist nun der letzte Bezirk, der damit eine Lücke im Angebot für Alleinerziehende geschlossen hat. Früher klappte es nicht, die Corona-Pandemie grätschte dazwischen. Bezirkskoordinatorin Dörte Scheurich hat zudem länger nach passenden Räumen suchen müssen und fand sie schließlich mit „sehr viel Glück“ im Charlottenburger Danckelmann-Kiez. Die Hauseigentümer hatten das leere Erdgeschoss bei Ebay-Kleinanzeigen angeboten, zu einem fairen Mietpreis. Inzwischen sind die Beratungsräume eingerichtet, samt Küche und Toilette, erste Kontakte wurden geknüpft, sagt Dörte Scheurich, und Kooperationen angestoßen. Mit den Familien- und Stadtteilzentren, mit den Fachämtern des Bezirksamtes, mit dem Jobcenter und der Arbeitsagentur, mit Frauenprojekten, Bildungsträgern, Vereinen und Ehrenamtlichen.
Das großflächige Netzwerken ist wichtig, weil die Betroffenen persönlich in ganz verschiedenen Lebenssituationen stecken und daher unterschiedliche Hilfen brauchen. „Es gibt nicht die eine Alleinerziehende oder den einen Alleinerziehenden mit dem einen Problem“, sagt Julia Helmert. Das habe sie nach den ersten 50 Beratungsgesprächen schnell gemerkt. „Aber das macht meine Arbeit auch so interessant.“ Häufig gefragt wird Julia Helmert nach Bürgergeld und Kindergeldzuschuss. Andere brauchen Hilfe in der Kommunikation mit Behörden. Aber auch der Alltag mit dem Kind, die Folgen einer Trennung oder die Suche nach einem neuen Job gehören neben der Existenzsicherung und finanziellen Entlastung zu den Themen der Anlaufstelle. Gekommen sind zu Helmert bisher nur Frauen. Was auch der Statistik entspricht: 85 Prozent aller Alleinerziehenden sind weiblich.
Die Anlaufstelle in der Seelingstraße 58 ist montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr geöffnet. Beraten wird in der Regel nach individueller Absprache oder mobil, etwa in einem Familienzentrum. Träger ist der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF Berlin), der auch die Anlaufstelle in Neukölln betreut und bei dem Julia Helmert angestellt ist. Der Verein betreut in Berlin auch „Evas Obdach“ und „Evas Haltestelle“, das Duschmobil für Frauen und die Delphin-Werkstätten. Für sein Projekt „Housing First für Frauen“ wurde der SkF 2023 mit der Louise-Schröder-Medaille des Berliner Abgeordnetenhauses ausgezeichnet.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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