Nicht jeder Bewohner des Tierheims findet ein neues Zuhause
Es dürften wohl die Arien gewesen sein, die fortwährenden Kostproben einer großen Stimme. Zu viel Getöse für das Gehör einer Katze. Und so riss "Heidi" eines Tages der Geduldsfaden. Sie erhob die Tatzen gegen jene amerikanische Opernsängerin, die ihr bis dahin ein Zuhause gegeben hatte, setzte an zur Attacke - und wurde verbannt. Rund sechs Jahre später hockt "Heidi" auf der anderen Seite des Atlantiks im Garfieldhaus des Berliner Tierheims in einem Winkel. Sie wartet nach langer Odyssee auf eine neue Chance, nachdem sie mehrere verpasste. "Auf uns wirkte sie bisher sehr unauffällig", wundert sich Pflegerin Patrizia. Doch auch der letzte Vermittlungsversuch endete so wie das Leben bei der Diva: Mit Gefauche, ausgefahrenen Krallen, Wut. "Beim Vorbesitzer ging es ein Jahr gut. Und dann, von jetzt auf gleich, hat er sich nicht mehr in seine Wohnung getraut." Patrizia krault das gescheckte Fell, schaut der Katze in die goldgelben Augen. Heute ist die rosige Schnauze zum Schmusen bereit und die Pflegerin glaubt daran, dass dies die Regel ist. "Hide Out" - so der eigenwillige amerikanische Name - sei nun einmal "charakterstark" und brauche einen ähnlich taffen, hingebungsvollen Halter. Und wenn der Zwölfjährigen doch nach starken Gefühlsausbrüchen zumute ist, "muss man sich ihr entgegenstellen oder sie ignorieren. Aber mit Lautstärke kommt sie nicht mehr klar".
1400 Einwohner in der Stadt der Tiere
Ungewöhnliche Verhaltensweisen, gesundheitliche Probleme, hohes Alter - das sind Faktoren, die es schwierig machen, die Stadt der Tiere, wie man das Tierheim am Hausvaterweg 39 mit seinen 1400 Einwohnern auch nennt, wieder zu verlassen. "Manche Ankömmlinge sind nach zwei Tagen schon überfordert. Und es gibt welche, die sind jahrelang bei uns und zeigen keinerlei Anzeichen von Stress", erzählt Sprecherin Stephanie Eschen. "Doch egal wie großzügig der Auslauf oder wie fürsorglich die Pflege ist, das Heim kann ein richtiges Zuhause nie ersetzen."
Medikamente auf Lebenszeit
Auch "Chico" würde seinen Zwinger im Benji-Hundehaus gern wieder mit einem Platz am Sofa tauschen. Mit seinen 13 Jahren und einer Hüftgelenkserkrankung empfiehlt sich der Schäferhund-Mischling nicht mehr als tollender Familienhund oder Sportsfreund für Jogger. Sehr wohl aber als Kamerad für Ältere und Kinderlose. Über zwei Jahre ist es her, seitdem ihn eine alte Dame aus gesundheitlichen Gründen abgeben musste. Immer wieder bricht sie in Tränen aus, wenn sie bei ihren Anrufen hören muss, dass "Chico" noch immer nicht vermittelt ist. Seine Medikamente erhält das treue Knickohr mit den sanften rehbraunen Augen auf Lebenszeit vom Tierheim. "Wir machen das kostenfrei", betont Eschen. "Das ist die einzige Chance, die wir haben, um alte und kranke Hunde zu vermitteln."
Ehrenamtliche Gassigeher gesucht
Das ist nur eine der vielen Sonderaufgaben, die der Tierschutzverein als Betreiber des Heims auf sich nimmt. In Sachen Kapazität und Personal ist er ständig am Limit, erhält keine Zuwendungen vom Senat, setzt seit 2007 auf ehrenamtliche Gassigeher und will deren Zahl auf 140 erhöhen. "Ausgiebige Spaziergänge, die für den Stressabbau wichtig sind, schaffen wir mit unseren 75 Pflegern einfach nicht", erklärt Stephanie Eschen die Notwendigkeit eines solchen Engagements.
Unterwegs zum Exotenhaus - und die Wege in der Stadt der Tiere sind lang - kommt auch das Thema Hundeführerschein zur Sprache. "Sachkundenachweise sind immer gut", sagt Eschen. Sie befürwortet eine Schulung auf freiwilliger Basis. "Je mehr sich ein Mensch damit befasst, was es heißt, ein Tier aufzunehmen, desto besser." Bei den Exoten angelangt, wird deutlich, was die gedankenlose Anschaffung zu oft bedeutet. "Die Leute informieren sich nicht, kaufen winzige Echsen auf Messen. Aber die werden ordentlich groß, brauchen Platz und Futter. Und man kann mit ihnen nicht kuscheln." Trotzdem oder genau deswegen sei Exotenhaltung ein gesellschaftlicher Trend geworden. "Es reicht nicht mehr aus, ein Meerschwein oder einen Hund zu haben. Jetzt braucht man einen Leguan", bemerkt die Sprecherin.
Königspython im Exotenhaus
In der Tat beherbergt die Sonderabteilung noch ausgefallenere Geschöpfe: eine Königspython oder bissige Wasserschildkröten. Sogar ein Krokodil war kurzzeitig zu Gast. Daneben nimmt sich "Räuber" harmlos aus. Und als wolle er seine beschauliche Lebensauffassung untermauern, hat sich der stattliche Bindenwaran auf dem Fensterbrett lang gemacht, äugt hinaus in die kalte, fremde Umgebung, lässt ab und an seine dunkle Zunge blitzen.
Was "Räuber" zum Leben braucht? "Vor allem Platz", sagt Pflegerin Janine Braun. Zehn bis zwölf Quadratmeter. Dazu eine Raumtemperatur von rund 28 Grad - und jagdbares Futter. Er bekommt Heuschrecken, denen er nachstellen kann. Dazu Mäuse, Ratten, Küken. Eigentlich zählen Bindenwarane zu den aggressivsten Vertretern ihrer Art. "Nachdem ihm ein Stück vom Schwanz amputiert werden musste, ist ,Räuber aber nicht mehr so flink unterwegs", sagt Braun. Dennoch wird so ein "Hausdrachen" wohl nur mühsam Freunde finden. Das weiß die Pflegerin. Das weiß auch Stephanie Eschen. Aber für den Anfang würde es schon genügen, dass "Chicos" frühere Besitzerin nicht mehr weint.
Das Tierheim Berlin, Hausvaterweg 39, in Falkenberg ist mit einer Fläche von 16 Hektar das größte in Deutschland. Betreiber ist der Tierschutzverein für Berlin und Umgebung, der sich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert. Über 1400 Bewohner zählte die Verwaltung des Heims im März, darunter 306 Hunde, 378 Katzen, 203 Vögel und 82 Nagetiere. Die Vermittlungsgebühr für Hunde sind maximal 205 Euro, für Katzen unter 85 Euro. Bei Reptilien wie "Räuber" erfährt man den Preis auf Anfrage. Alle Formulare und Informationen zur Anschaffung eines Haustiers finden sich unter www.tierschutz-berlin.de/tierheim. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag, 11 bis 16 Uhr, 76 88 80.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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