Obdachlose suchen Schutz in der Heinrich-Schulz-Bibliothek
Über einem Buch einzunicken, das ist nun wirklich nichts Verwerfliches. Aber wenn das Schläfchen an einem der eher spärlich gesäten Arbeitstische einer öffentlichen Einrichtung geschieht? Und ein schmutziger Koffer - als mutmaßlich ganzer Besitz - nebenan im Gang parkt? Dürfen Menschen ohne Dach über dem Kopf stundenlang den öffentlichen Raum nutzen, um auszuruhen von ihren Strapazen?
Dieser Fragen sind nicht hypothetisch, sondern im Fall der Heinrich-Schulz-Bibliothek im Rathaus Charlottenburg durchaus begründet. Bei genauem Hinsehen fällt auf, dass ein gewisser Anteil der Stammgäste etwas anderes im Sinn hat als zu lesen, gerade an nassen, kalten Tagen.
Der Autor dieser Zeilen selbst kennt die Bredouille: Auf der Suche nach kostenlosen Lese- und Arbeitsplätzen in Schlagdistanz zum nächsten Termin muss er erfinderisch werden, nutzt manchmal Sitzgruppen in der Mensa der TU Berlin, manchmal eine Parkbank, gerne auch freie Tische in öffentlichen Gebäuden. Und überall, wo er auftaucht, begegnen ihm die Obdachlosen.
"Hast Du vielleicht 50 Cent?" Diese Frage äußerte kürzlich eine ältere Dame als Sitzplatznachbarin in der Heinrich-Schulz-Bibliothek. Um kurz darauf einzudösen über einem Buch, das unberührt im Schoß lag.
Wenn es nach Kulturstadträtin Dagmar König (CDU) geht, soll es solche Szenen nicht mehr geben. "Das geht einfach nicht", äußert sie sich auf Nachfrage. "Wir haben auch so schon zu wenige Arbeitsplätze." Nun sollen die Bibliothekare auf entsprechende Vorkommnisse ein Auge haben und gegebenenfalls einschreiten. Für die Obdachlosen, sagt König, müssten andere Einrichtungen sorgen. Aber Bibliotheken seien der falsche Platz.
Aus einer anderen Sicht betrachtet das Problem jemand, der die Befindlichkeiten von solchen Menschen wohl besser kennt als jeder andere. "Groß ist ihre Sehnsucht nach Ruhe, kleinen Inseln, um geschützt Pause machen zu können", weiß Dieter Puhl, der Leiter der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten, aus Erfahrung. Und man dürfe nicht meinen, dass die Ärmsten der Stadt kein Interesse an Lektüre hätten. "Diese Menschen sind keinesfalls ungebildet, immer wieder überrascht es mich, wie gut sie informiert sind." Und nicht von ungefähr biete ihnen die Bahnhofsmission einen eigene, kleinen Buchbestand und eine Auswahl an aktuellen Zeitungen. "Sie werden nicht unsichtbar werden", mahnt Puhl. "Werden qualitative Hilfen für sie nicht ausgebaut, wird sich Berlin daran gewöhnen müssen, mit ihnen zu leben."
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.