Berliner Stadtmission erzählt von ihrer Arbeit
"Obdachlosigkeit ist die prekärste Form der Armut"
Bahnhof Zoo, Alexanderplatz, Friedrichstraße, Hauptbahnhof: Obdachlosigkeit findet sich an vielen Hotspots in der Stadt. Berlin will sie bis 2030 beenden. Doch bei der Stadtmission ist man skeptisch.
Wer durch die Innenstadt läuft, sieht sie mittlerweile fast überall. Schlafplätze unter der Brücke am Bahnhof Zoo und am Savignyplatz, am Bahnhof Friedrichstraße, unweit vom Tränenpalast und dem Fluchtdenkmal. Matratzen am Landwehrkanal, Zelte auf der Grünfläche zwischen Lehrter Kiez und Hauptbahnhof, Nachtlager unter U-Bahnbögen und in Hauseingängen in Prenzlauer Berg. Kein schöner Anblick für Berliner und Touristen, mag da so mancher meinen. Tatsächlich ist die Obdachlosigkeit ein Dauerproblem in der Hauptstadt. Das wissen auch Berlins Politiker. Bis 2030 wollen sie der Obdachlosigkeit ein Ende setzen. So steht es im Berliner "Masterplan zur Überwindung unfreiwilliger Wohnungs- und Obdachlosigkeit“.
Wohnungslosigkeit nimmt zu
Wie viele Frauen und Männer ohne Obdach sind, lässt sich schwer beziffern. Verlässliche Zahlen gibt es nicht. In einer ersten berlinweiten Zählung im Januar 2020 trafen die Zählteams in den Bezirken knapp 2000 Menschen an. Beratungs- und Anlaufstellen für obdachlose Menschen wie die Berliner Stadtmission am Bahnhof Zoo gehen von weitaus höheren Zahlen aus. Rund 10 000 seien obdachlos, etwa 50 000 wohnungslos, schätzt Martin Zwick, Vorstand der Bahnhofsmission – Tendenz steigend, denn die Wohnungslosigkeit nimmt zu. Bei der Stadtmission ist man deshalb skeptisch, ob die Obdachlosigkeit bis 2030 beendet werden kann. Selbst Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) bezweifelte kürzlich bei seinem Besuch in der Berliner Stadtmission am Zoo, ob das zu schaffen ist, und mahnte mehr Präventivarbeit in den Bezirken an. Der Stadtmission versprach Müller, das Thema Obdachlosigkeit in den Bundestag mitnehmen zu wollen. Der SPD-Politiker kandidiert bei den Wahlen Ende September nicht mehr für das Amt des Regierenden.
Prävention immer wichtiger
Bei der Berliner Stadtmission ist die Prävention schon lange ein Schwerpunkt ihrer Arbeit, um Wohnungslosigkeit möglichst zu verhindern. Man arbeite hier mit den Bezirken auch gut zusammen, sagt Zwick. Über soziale und ambulante Hilfen zum Beispiel, damit Obdachlose und Wohnungslose etwa in Gemeinschaftsunterkünften unterkommen. Erste Hilfe leistet auch die mobile Einzelfallhilfe der Stadtmission. Zwei Psychologinnen und eine Sozialarbeiterin suchen rund um den S-Bahn-Ring Menschen in prekären Situationen auf, sprechen sie an und leisten erste Hilfe. Auch eine Seelsorgerin ist als „Mutmacherin“ am Bahnhof Zoo unterwegs. Fürs Bilden bietet die Stadtmission in ihrem Zentrum am Zoo Seminare und Workshops an – auch für Schulklassen.
Berliner für das Thema sensibilisieren
Denn es geht auch darum, die Berliner für das Thema zu sensibilisieren. „Obdachlosigkeit ist die prekärste Form der Armut, das muss man sich bewusst machen“, sagt Michael Kraft, neuer Leiter des „Zentrums am Zoo“. Sie zu bekämpfen, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Doch in der Stadtmission weiß man auch: Obdachlose wird es in Großstädten wie Berlin immer geben. „Wegen ihrer Anonymität“, sagt Kraft. Was aber gibt man in der Stadtmission Berlinern mit auf den Weg, die für die sichtbare Obdachlosigkeit in ihrer Stadt wenig Verständnis haben? „Versuchen Sie eine Beziehung zu dem obdachlosen Menschen aufzubauen, den sie auf der Straße treffen“, sagt Martin Zwick. „Sie werden die Erfahrung machen, es kann auch Sie treffen.“
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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