Reederei schippert ganze Schulklasse über die Spree
Da dampft er heran, der "Spreediamant". Einige hatten schon an der "Plätzchenfahrt" gezweifelt, da legt er doch noch am Steg des Märkischen Ufers an. Verspätungsgrund? Ein Staatsbesuch. Vollsperrung der Spree am Kanzleramt. Annmarie, Chiara und ihre Freunde nehmen den Zeitverzug gelassen. Fröhlich hüpfen die Grundschüler von einem Fuß auf den anderen, pudern sich die Nasen mit Schnee. Hauptsache, an Bord ist es warm. Endlich gleitet der "Spreediamant" ostwärts den dunklen Fluss hinauf, schiebt sich unter der Oberbaumbrücke hindurch, vollführt kurz vor der Elsenbrücke eine Wendung und grummelt nun gen Westen. Heute gehört das Unterdeck den kleinen Plätzchenbäckern aus Reinickendorf. Die Reederei Riedel hat sie eingeladen, Berlin vom Wasser aus zu entdecken.
Kannenweise Kakao
Gastgeberin Martina Freise lässt kannenweise Kakao und dazu Lebkuchen servieren, tischt alle Zutaten auf, die es zum Zaubern von Keksen braucht. An einer langen Tafel stehend trällern 20 Drittklässler "Schneeflöckchen, Weißröckchen", sind verzaubert vom Flockenwirbel, den die Schiffsbeleuchtung an den Fenstern blau und grün verfärbt. Dem Vorankommen Richtung Spreebogen, versichert Reederin Martina Freise, steht nichts im Weg. "Es gab auch schon eine Plätzchenfahrt, da haben wir Eisschollen knacken gehört." Anberaumt hat die Traditionstour der Verein "Berliner helfen" und wie schon in den sieben Jahren zuvor steht sie im Zeichen der wohltätigen Aktion "Schöne Bescherung".
Es ist ein kleines Ausrufezeichen hinter dem ganzjährigen Engagement für Reinickendorfer Kinder. Das gesunde Schulfrühstück, diese wöchentliche Wohltat, wäre ohne den Beistand der Initiative kaum zu leisten. Petra Götze, Redakteurin der Berliner Morgenpost und Koordinatorin des Vereins, organisiert Spenden.
Gertrud Meyer an Bord
Und sie hilft, indem sie berichtet. Zum Beispiel über die Frau, die an der Hausotter-Grundschule alle Fäden zusammenführt, das Frühstück mit wenigen Helfern selbst serviert, im Alter von 71 Jahren: Gertrud Meyer. Dass sich Meyer an Bord befindet, ist unüberhörbar. Kaum droht bei den Kleinen die Freude in Übermut umzuschlagen, erklingt ihr lautes Organ. "Das hört sich manchmal etwas schroff an", erklärt die pensionierte Religionslehrerin. "Aber es wirkt." In der Tat: Die Stimmgewalt gebietet Streithähnen Einhalt, die gute Laune beim Teig-Auswalzen bleibt. Und natürlich kommt der Spruch, den wohl Generationen junger Plätzchenbäcker gehört, aber nie beherzigt haben: "Nicht vom Teig naschen! Sonst bekommt ihr Bauchschmerzen!" Das ist der einzige Ausruf Meyers, der vergessen ist, sobald sie den Kindern den Rücken kehrt. Eine Ehrenamtskarte nimmt sie an diesem Tage entgegen. Ausgegeben vom Senat, ausgehändigt durch Martina Freise. Und es passt ins Bild, dass diese kernig-herzliche Frau auf Anhieb gar nicht weiß, wo sie mit dieser Karte eine Vergünstigung in Anspruch nehmen würde. So sehr denkt Meyer an andere, vor allem an Kinder. Aus den Boxen schallt "Jinglebells", als das Schiff durch den Kupfergraben gleitet. Die ersten Bleche verschwinden im Ofen.
Von Kindern für Kinder
Bevor sie das Schulfrühstück ins Leben rief, betrieb Gertrud Meyer ein Sozial-Warenhaus und startete ein Hilfsprojekt für Jugendliche in Weißrussland. Aus der Zeit stammt der Name ihres Vereins: "Von Kindern für Kinder". Inzwischen stemmen viele ältere Semester die Arbeit und Gertrud Meyer hat Zukunftssorgen.
"Ich würde den Verein gern in andere Hände geben. Den Hut nicht mehr selbst aufhaben", sagt sie. Frühstück auftischen wolle sie nach wie vor. "Das ist viel wichtiger als das Mittagessen", glaubt die Weddingerin. "Es geht mir dabei nicht nur um gesunde Ernährung, sondern auch um Tischkultur. Zu Hause müssen sich manche Kinder nicht benehmen. Das lernen sie aber bei mir." Wie schwierig es ist, Kindern, deren Familien in sehr unterschiedlichen Ländern verwurzelt sind, einheitliche Werte zu vermitteln, kann Lehrerin Mauricette Benda bestätigen. Ihr Grundsatz im Umgang mit Störenfrieden: "Du willst respektiert werden? Dann respektiere mich!"
Das Regierungsviertel ist erreicht. Der "Spreediamant" treibt nahe dem Kanzleramt. Was dort entschieden wird, wirkt ins ganze Land. Es betrifft auch die Kinder, von denen jedes dritte in Armut lebt. Mauricette Benda hört immer wieder, dass Eltern arbeitslos werden und hat die Konsequenzen ständig vor Augen: "Dann kommt es vor, dass sie die Hortgebühr nicht mehr bezahlen können und ihre Kinder den Hort verlassen müssen." 23 Euro beträgt der Mindestsatz. Für eine wachsende Zahl von Eltern ist das zu viel.
Eigene Krationen
Süße Düfte dringen aus der Küche. Niko und Pierre stanzen Sterne aus. Sie belegen das dritte Blech. Dick aufgetragen quillt blauer Sirup über die Plätzchen. Zu viel? Pierre grinst. "Nee, das schmeckt!" Am Nachbartisch arbeiten Annmarie und Sarah an eigenen Kreationen mit viel Schokolade für ihre Familien. "Meine Mama mag lieber saure Sachen", sagt Annmarie. "Aber meinem Bruder wird es schmecken."
Draußen blitzt der Fernsehturm in den Abend, das Schiff rauscht zurück zum Märkischen Ufer, die kleinen Bäcker verstauen ihre Plätzchen in Beuteln. Beim Aufräumen merkt man: Es müssen wohl mehr Kinder Teigreste vernascht haben, als Gertrud Meyer lieb sein kann. Über Bauchschmerzen hat sich jedoch niemand beklagt.
Seit 22 Jahren engagiert sich die pensionierte Lehrerin Gertrud Meyer (71) im Verein "Von Kindern für Kinder". Aus Altersgründen möchte sie kürzer treten und sucht Menschen, die ihr organisatorische Aufgaben abnehmen. Interessenten erreichen sie unter 46 60 12 07, E-Mail: vkfkev@versanet.de. Nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern das ganze Jahr über unterstützt der Verein "Berliner helfen" Initiativen zum Wohl von Kindern. Wer die Aktion "Schöne Bescherung" unterstützen möchte, kann spenden an "Berliner helfen", Konto 039 25 63 00 bei der Berliner Bank, BLZ 100 708 48, Stichwort: Weihnachten. Informationen auf www.berliner-helfen.de.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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