Hören, wo der Schuh drückt
Sozialstadtrat besucht den Seeling-Treff
Im Seeling-Treff können Obdachlose duschen, ihre Wäsche waschen, im Internet surfen und sich Tipps für die Jobsuche holen. Der Bezirk finanziert den Treff mit. Grund für Sozialstadtrat Arne Herz mal vorbeizuschauen.
Mittagszeit im Seeling-Treff. Alle Stühle sind besetzt. Hinterm Tresen haben Elke und Ralf vom Küchenteam vier Hände voll zu tun. Es gibt Bockwurst mit Salat. Nebenan schleudert die Waschmaschine. Die Dusche ist noch feuchtwarm. Alltag im Tagestreff für Leute ohne Obdach und Geringverdiener. Oder doch nicht? „Eigentlich haben wir heute zu“, sagt Einrichtungsleiter Alexander Krasny. Es ist Freitag. Doch Sozialstadtrat Arne Herz (CDU) hat sich angekündigt, und der will nicht vor verschlossener Tür stehen. In der Community hat sich das herumgesprochen. Deshalb ist die Hütte heute voll.
Obdachlose haben hier sogar Postfächer
Alexander Krasny schaut auf die Uhr. Es ist noch Zeit, bis der Stadtrat kommt. Und so fangen er und Kollegin Christin Fritzsche schon mal zu erzählen an. Dass es den Tagestreff im Altbau der Seelingstraße 9 schon seit 38 Jahren gibt und er bisher alle Krisen überstanden hat. Dass seine Trägerin seit 2007 die Gebewo ist und fünf Sozialarbeiter hier arbeiten. „Damit sind wir eine der größeren Einrichtungen in Berlin“, sagt Krasny. Mittags wird immer frisch gekocht, die Obdachlosen können hier frühstücken, ihre Wäsche waschen, duschen, haben freies Wlan, Schließfächer und sogar eigene Postfächer. Es gibt eine Kleiderkammer und eine Fahrradwerkstatt, mehrere Tablets, eine Bücherecke und Kinonachmittage.
Im Kiez verwurzelt
Im Kiez ist der Seeling-Treff fest verwurzelt. „Fast jeder kennt und hilft uns“, sagt Krasny. Die Berliner Tafel liefert Lebensmittel und der „Brotgarten“ frische Brötchen. „Diese Woche haben uns auch Kitas versorgt.“ Wegen der Ferienzeit ist vom Caterer was übrig geblieben. Eine Drogerie spendiert Hygieneartikel, Nachbarn bringen Kleidung vorbei, und eine Kirchengemeinde schenkte dem Seeling-Treff ein Lastenrad. Die Sozialarbeiter helfen aber nicht nur mit warmen Mahlzeiten, Trost und netten Worten: „Wir versuchen, ihnen eine Arbeit zu vermitteln, sofern sie arbeiten können.“ Als Reinigungskräfte zum Beispiel. Alexander Krasny erzählt von einem obdachlosen Rumänen, der jetzt hier mitarbeitet. Die Gebewo hat ihn befristet eingestellt. Der Mann lebt inzwischen in seiner eigenen Wohnung und will Sozialassistenz studieren. Für Krasny ist er eine echte Erfolgsgeschichte.
50 bis 70 Besucher pro Tag
Inzwischen ist Arne Herz eingetroffen. Der Seeling-Treff steht auf der Liste seiner Sommertour, die den Stadtrat im August zu 32 sozialen Vereinen und Einrichtungen führt. Die erste Woche hat der Stadtrat hinter sich – und ist schwer angetan. „Was die Leute so alles auf dem Herzen haben, ist bereichernd für mich“, sagt Herz. Viele Einrichtungen kenne er zwar schon, andere, wie den Seeling-Treff, aber noch nicht. Also fragt der Stadtrat nach und erfährt, dass der Treff 50 bis 70 Besucher täglich hat. Nicht alle sind obdachlos, einige wohnen in Charlottenburg, haben aber wenig Geld oder sind einsam. Ein Besucher radelt mehrmals die Woche aus dem havelländischen Nauen an. Er übernachtet dort im Wald. Andere kommen aus Schöneberg oder Prenzlauer Berg. „Unsere Besucher sind ziemlich mobil und versorgen sich auch in anderen Tagesstätten“, erklärt Alexander Krasny. Gut zwei Drittel sind Osteuropäer.
Mehr Platz wird gebraucht
Arne Herz will wissen, wo der Schuh drückt. „Naja, wir bräuchten mehr Platz“, sagt Krasny. „Für eine zweite Dusche zum Beispiel.“ Den Altbau ausbauen geht aber nicht. Mit dem Eigentümer hat die Gebewo einen Gewerbemietvertrag abgeschlossen, der alle fünf Jahre verlängert wird. Im kommenden Jahr steht die nächste Verlängerung an. „Wir hoffen, dass das wieder klappt.“ Vom Bezirksamt bekommt der Seeling-Treff jährlich 250 000 Euro Zuschuss. „Dabei bleibt es auch“, sichert der Stadtrat zu. Denn er weiß um die zunehmende Obdachlosigkeit. „Aber wir kümmern uns“, sagt Herz, „und bringen jeden unter, der es will.“
Obdachlose werden befragt,
was sie wollen und annehmen würden
Bis 2030 will der Senat die Obdachlosigkeit in Berlin beendet haben. Er meint damit, wohnungslose Menschen in vier Wänden unterzubringen. Arne Herz glaubt daran nicht. „Mit Housing First beenden wir keine Obdachlosigkeit, das ist utopisch. Sicher erreichen wir einige, aber andere eben nicht.“ Für die müssten passende Angebote her. „Vielleicht ein größerer Ort in einer Kleingartenanlage, abgeschirmt und sauber, ein Safe Place.“ Ein oder zwei Tiny-Häuser auf dem Stuttgarter Platz mal auszuprobieren, dagegen hat der Stadtrat nichts. „Das wäre für einige die erste genommene Hürde auf dem Weg zum nächsten Angebot, der eigenen Wohnung.“ Ohne die Betroffenen gehe das aber nicht. Deshalb sei man gerade dabei, Obdachlose vor Ort zu fragen, was sie wollen und worauf sie sich einlassen würden. Denn dass sich etwas ändern muss, steht für den Stadtrat fest. „Wir vertreiben Obdachlose nicht von der Straße, aber wir müssen Maß halten.“ Die Anwohner sollen sich sicher fühlen können. „Eine Matratze hat auf einem Fußweg nichts zu suchen.“ Selbst tolerante Kieze seien heute nicht mehr so tolerant wie früher, sagt Herz.
Seine Sommertour durch soziale Einrichtungen will der Stadtrat möglichst jedes Jahr wiederholen. Um zu hören, was es für Probleme gibt und „die wir dann bestenfalls lösen können“. Mit seinen Stippvisiten will Herz aber auch all jenen Danke sagen, die „für andere Menschen da sind“ und ohne die Berlin „viel ärmer wäre“.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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