Sport ist Teil der Lösung
Der Präsident des Landessportbundes Thomas Härtel über die Corona-Pandemie und ihre Folgen für Vereine
Thomas Härtel war viele Jahre Sportstaatssekretär im Senat und ist seit 2018 Präsident des Landessportbundes Berlin, der mit rund 672.000 Mitgliedern größten gemeinnützigen Organisation in Berlin. Im Interview mit Berliner-Woche-Reporter Dirk Jericho fordert er von der Politik mehr Verständnis für den Sport.
Der Breiten- und Vereinssport hat in den zurückliegenden Monaten mächtig gelitten, jetzt lockert der Senat endlich ein wenig die strengen Beschränkungen. Hätte das nicht schon viel früher passieren müssen?
Thomas Härtel: Jeder Tag, an dem Menschen der Zugang zum Sport verwehrt wird, ist ein Tag zu viel. Für uns steht die Gesundheit aller im Mittelpunkt. Dazu gehören auch die, die in der Pandemie besonders gefährdet sind. Allerdings hätten wir uns von der Politik an der einen oder anderen Stelle ein differenzierteres Vorgehen in der Pandemiebekämpfung für den Sport erhofft – vor allem mehr Verständnis dafür, wie wertvoll der Sport gerade in einer Gesundheitskrise wirken kann.
„Sport als Impfung begreifen“, sagen Sie und fordern mit dem Deutschen Olympischen Sportbund die Rückkehr zum geordneten Sportbetrieb. Aber es gibt noch genügend Beschränkungen wie Testpflicht auch bei Sport im Freien. Macht nicht eher kein Sport krank?
Thomas Härtel: Sport und Bewegung ist die beste Prävention. So sehr wir nun die Öffnungsschritte begrüßen, umso mehr müssen wir feststellen, dass viele Regelungen unseren Sportalltag belasten. Bewegungsmangel steigert die Gefahren für Herz-Kreislauf-Krankheiten und Diabetes Typ 2 und beeinflusst auch die soziale und psychische Gesundheit von Menschen. Deshalb ist der Vereinssport so wichtig. Er motiviert Menschen, sich in Gemeinschaft gezielt zu bewegen. Mit ihren nachhaltigen Angeboten leisten die Berliner Sportvereine einen sehr wertvollen Beitrag für die Gesundheit.
Wie groß ist denn die Gefahr, sich auf den Sportplätzen unter freiem Himmel anzustecken? Und kann nicht auch in Hallen sicher Sport getrieben werden?
Thomas Härtel: Sporttreiben war und ist weiterhin nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zur Pandemiebekämpfung. Nach den Erkenntnissen der Aerosolforscher ist bei der Umsetzung der vorhandenen Hygienekonzepte die Ansteckungsgefahr auch in den Sporthallen eher gering. Zudem haben wir bereits zu Beginn der Pandemie gemeinsam mit unseren Verbänden und Vereinen umfangreiche Hygienekonzepte für Sport im Freien und in der Halle entwickelt und umgesetzt.
Sportreiben ist wichtig für die Gesundheit – sowohl für die körperliche als auch die seelische. Tausende Kinder und Jugendliche konnten aber seit Monaten nichts machen. Welche Folgen hat das?
Thomas Härtel: Die Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche sind unübersehbar. Wir brauchen jetzt eine Bewegungsoffensive für Kinder und Jugendliche. Immer mehr Eltern, Lehrer, aber auch Kinderärzte berichten von körperlichen, seelischen und sozialen Schäden. Hier können wir mit den Sportangeboten unserer Sportvereine gegensteuern und auf jeden Fall zur Linderung beitragen. Es ist höchste Zeit, die Kräfte des Sports in der Pandemie endlich angemessen zu nutzen.
Wie schlimm ist die Situation in den Vereinen, die viele Mitglieder und Übungsleiter verloren haben?
Thomas Härtel: Unsere diesjährige Mitgliederbestandserhebung hat die Folgen der Corona-Krise zutage gefördert. Gerade unsere großen Mehrspartenvereine haben überproportional Mitglieder verloren. Insgesamt haben wir über 30.000 Austritte zu verzeichnen. Dennoch können wir feststellen, dass der größte Teil unserer Mitglieder und natürlich auch die Übungsleitenden treu zu ihren Vereinen stehen. Darüber sind wir froh.
Die Pandemie hat Kraft gekostet – im wahrsten Sinne. Fordern Sie vom Senat finanzielle Unterstützung für ein Wiederaufbauprogramm?
Thomas Härtel: Der vom Senat mit maßgeblicher Unterstützung des Abgeordnetenhauses aufgespannte Rettungsschirm für die Berliner Vereine hat uns sehr geholfen und bietet auch weiterhin eine wertvolle Hilfe. Der Sport ist, wenn auch leider nur in bescheidenem Umfang, auch Bestandteil des „Corona-Aufholpakets“, das das Bundeskabinett jetzt auf den Weg gebracht hat. Es sieht unter anderem eine Mittelerhöhung für die Jugendarbeit im Sport vor. Was wir jetzt aber brauchen sind verlässliche Öffnungsschritte, um Sport wieder stattfinden zu lassen, für Kinder und Jugendliche, aber auch für alle Altersgruppen. Wir hoffen damit sowohl verlorene Mitglieder wiederzugewinnen als auch andere zum Eintritt in unsere Vereine zu bewegen. Dazu starten wir in den nächsten Wochen eine Kampagne #sportVEREINtuns.
Stimme des Sports
Der Landessportbund Berlin e. V. ist als unabhängiger Zusammenschluss der Fachverbände des Amateursports, der bezirklichen Sportarbeitsgemeinschaften und sonstiger Sportinstitutionen die Stimme des Berliner Sports. Er versteht sich als Anwalt und Dienstleister für den gesamten Berliner Sport, für Vereine und Verbände gleichermaßen. Er fördert und unterstützt den Berliner Sport in seiner ganzen Breite – vom Jugendsport über den Breiten- und Freizeitsport, den Gesundheitssport, den Nachwuchsleistungs- und Spitzensport bis zum Seniorensport. Die rund 2500 Berliner Sportvereine mit ihren 662.076 Mitgliedern besitzen über ihre Fachabteilungen und die 50 Sportfachverbände eine mittelbare Mitgliedschaft im Landessportbund Berlin. Als demokratisch verfasste und staatlich unabhängige Dachorganisation für den Berliner Sport arbeitet der im Jahre 1949 gegründete Landessportbund Berlin auf Grundlage und im Sinne des Sportfördergesetzes im Land Berlin partnerschaftlich mit dem Senat und insbesondere mit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport zusammen.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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