„Wir sind die Augen der blinden Fans“
Tom Zielaskowski ist seit 14 Jahren bei Hertha BSC ehrenamtlicher Reporter
In allen drei deutschen Fußball-Profiligen gibt es seit Jahren geschulte Livereporter am Spielfeldrand für blinde und sehbehinderte Fans. Tom Zielaskowski ist einer von sechs bei Hertha BSC. Jetzt kandidiert der Hertha-Fan fürs Präsidium.
„Tor! Tor! Kein Abseits, nicht abgepfiffen, das gibt’s doch nicht, aus acht Metern schiebt Kalou das Ding rein! Tor für Hertha B – S – C“, brüllt Tom Zielaskowski mit heiserer Stimme ins Mikro. Es sind überwältigende Emotionen und wortgewaltige Salven, die der Livereporter abfeuert. Die Aufnahme spielt der 61-Jährige beim Interview als Beispiel vor. Sie ist vom 2:2 gegen Bayern München im Oktober 2017. Auch wenn der Mitschnitt eine Erinnerung an die erste Bundesliga ist und die blau-weißen Absteiger gerade durch harte Zeiten gehen, sprühen Zielaskowskis Livereportagen immer vor purer Leidenschaft wie bei mitreißenden Fußballreportagen im Hörfunk.
Das Besondere: Tom Zielaskowski sitzt mit einem Kollegen direkt im Block B im Olympiastadion. Seinen Livekommentar hören nur die blinden Fans über einen Kopfhörer, den sie ausleihen können. Nur für sie beschreibt der Hertha-Fan als Blindenreporter, was auf dem Platz und drumherum geschieht. Seit einigen Jahren haben alle Profivereine spezielle Blindenreporter im Stadion. Bei Hertha BSC sind es mittlerweile sechs Ehrenamtliche, die für die Blinden direkt im Block und seit Corona auch für einen Live-stream von der Pressetribüne kommentieren. „Wir sind die Augen der blinden Fans“, sagt Tom Zielaskowski, der sich seit 14 Jahren als einer der Ersten ehrenamtlich als Hertha-Blindenreporter engagiert.
Die Reportagen unterscheiden sich im Prinzip nicht von denen der Radiokollegen, die genauso exakt beschreiben, wo der Ball gerade ist und welcher Spieler was macht, damit für den Zuhörer auf der Couch ein Film vor dem geistigen Auge abläuft. Doch die Blindenreporter im Stadion machen noch mehr. Sie ordnen Geräusche und Gerüche zu, was Blinde so nicht können. Pyroqualm zum Beispiel oder ein Knallen von hinten, weil jemand was fallen gelassen hat. Sehende würden sich umdrehen und wüssten Bescheid. Diesen „Rundumblick“ auch außerhalb des Spielfeldes übernehmen die Blindenreporter. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
Bei Hertha sitzen immer zwei Reporter auf der Tribüne für den Internetstream und zwei direkt im Block. Egal ob nur zwei blinde Fans da sind oder auch mal 40. „Man kann so wunderschön interagieren, auch mal ein Späßchen machen oder beim Einstellen der Empfangsgeräte helfen“, sagt Zielaskowski. Für ihn ist der „unmittelbare direkte Kontakt so unfassbar schön“. Er habe ein „Helfersyndrom“, so Zielaskowski, der auch mal Lehrer werden wollte und Sport und Mathe studiert hat. Mit seinem Sohn hat er 2022 wochenlang ehrenamtlich am Hauptbahnhof geholfen und Ukraine-Flüchtlinge in Empfang genommen. Der eingefleischte Herthaner engagiert sich auch als Volleyball- und Fußballtrainer in mehreren Vereinen und hat Sport-AGs an Schulen geleitet. „Ich bin ein sozialer Mensch“, sagt Zielaskowski, dessen Herz auch immer schon für den Journalismus schlug. Der Medienmanager und frühere Vertriebschef der Berliner Woche hat seit über 20 Jahren ein eigenes Marktforschungsinstitut.
Talent zum Kommentieren
Mit dem ehrenamtlichen Job als Blindenreporter für seinen Lieblingsverein Hertha BSC ist Tom Zielaskowski sehr zufrieden. Hier kann er sein Kommentatorentalent ausleben. Seine Sprecher-Highlights sind acht DFB-Pokalfinalspiele und das Champions-League-Finale von Barcelona gegen Juventus 2015. Bei ausgewählten Spielen der 1. Frauen in der Regionalliga Nordost bieten die Hertha-Blindenreporter jetzt auch Live-Blindenreportagen. Das erste Frauen-Derby gegen den 1. FC Union im August, das die Köpenicker Ladys überlegen mit 6:1 gewannen, hat Tom mit seinem Kollegen Christoph im Hertha-Amateurstadion kommentiert.
Der „absolute Teamplayer“, wie sich Zielaskowski selbst beschreibt, kandidiert jetzt als einer von 21 Frauen und Männern bei den Nachwahlen zum Hertha-Präsidium am 15. Oktober. „Hertha BSC und die Menschen, die ich durch Hertha kennengelernt habe, haben mir so viel gegeben: Es ist Zeit, etwas zurückzugeben!“, sagt er zu seiner Bewerbung.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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