mit Gedeck und mit Gewitter

Eine lange Fahrradtour von Oranienburg zu den Zwergen von Bergsdorf.

Gleich die bloße Teilnahmegebühr-Bezahlung bringt einen echten Mehrwert: das Infoblatt über die Tour. Und unser Anführer ist sehr besorgt um unser aller Gesundheit, empfiehlt bei dieser Hitze fürsorglich genügend Wasserproviant mitzuführen. Und tatsächlich gibt es ein etwas ungelenkes Brüderpaar, die nichts außer ihrem Fahrrad dabei haben und für die sich der Tipp als äußerst wertvoll herausstellt. Auf den letzten Pfiff trifft noch ein ganzer Schwung Radler mit akutem Tourenbegehr ein. „Wir werden ja immer mehr“, sage ich mehr so vor mich hin. Horst korrigiert mich: „schau mal genau hin, wir werden immer älter.“

Die nette Atmosphäre und das schöne Wetter wissen die vierundzwanzig Teilnehmer gleich sehr zu schätzen. Wie kann man denn heute nur auf dem Sofa sitzenbleiben?

Wir treten uns vom Bahnhof mit den grinsenden Politikergesichtern an den Laternen bloß schnell weg, schon sind wir am schönen Lehnitzsee, wo einer der auffälligen Brüder bei kurvigem Streckenverlauf vielleicht ein Idee zu sehr die Umgebung würdigt und stürzt. Der Tourenleiter reagiert souverän, die Gruppe erahnte wohl schon, wen es erwischt haben könnte, der seinen aufgeschlagenen Ellenbogen im nahen See kühlt. Die eben noch so friedliche, schlägt urplötzlich in eine mörderische Stimmung um, denn wie wir so am Ufer stehen greifen uns Mücken an und bezahlen es ganz überwiegend mit ihrem Leben.

Auf dem glatten Asphalt neben dem Oder-Havel-Kanal brennt mir die Sonne auf meine lichte Stelle am Hinterkopf, sodass ich vorsichtshalber meine Mütze aufsetze. Auf dem Oder-Havel-Kanal sind auf dem Uferweg fast mehr Schiffe als Radfahrer unterwegs. Schon nach neun Kilometern biegen wir zu einer ersten Badepause am Grabowsee ein. Wunderbar, dass uns hier ein wenig der Wind abkühlt. So ist es selbst für mich als Nichtschwimmer lohnend.

Hängebauchschwein und Fahrradfahrer in hautenger Sportlerkleidung

Landschaftlich reizvoll, beste Fahrradwege, perfektes Wetter und immer wieder diese phantastischen Alleen lassen uns aus dem Schwärmen kaum rauskommen. Dann erreichen wir, ein kurzes Stück Landstraße kleingrüppchenweise befahrend, den Gutspark Liebenberg mit Schloss, Stall und Kirche. Was man eben so braucht. Kurze Erkundungsdurchfahrt und Besuch im Schlossinneren, dann geht’s zum Bergfest unserer Tour nach Bergsdorf, wo eine Künstlerwitwe uns ein Kaffeegedeck zum stolzen Dorfpreis von fünf Euro selbst abholen lässt. Die Kuchenqualität habe ich besser in Erinnerung, aber vielleicht bin ich auch einfach noch nicht geschafft genug. Denn die bei Radfahrern so beliebten süßen Pausen schmecken umso besser, je mehr man unterzuckert ist.

Was gibt’s zu sehen: ein Esel, ein Hängebauchschwein, Fahrradfahrer in hautenger Sportlerkleidung, die ihnen nicht zwingend zum Vorteil gereicht, und künstlerisch wertvolle Zwerge. Meine Lieblingsbüste ist die einer Frau, die auf ihren Brüsten zu stehen vermag. Bemerkenswert.

Die Gruppe teilt sich in Bader und Biertrinker. Letztgenannte können die Atmosphäre unter Zwergen noch etwas länger genießen. Wir finden uns vorm Schloss Liebenberg wieder zusammen und fahren gemeinsam nach Liebenwalde. Auf dem Plattenweg geben wir absichtlich etwas mehr Tempo, damit uns der Fahrtwind bei dreißig Grad im Schatten und bestimmt vierzig Grad in der Sonne etwas kühlt. Allerdings können wir so schnell auch nicht fahren, denn die Strecke weist mehr tiefe Schlaglöcher auf als man es als Berliner auf heimischem Terrain tagtäglich gewohnt ist.

geh mal mit deinem Lippenstift weg

Abgesehen davon ist das Oberhaveler Land weiterhin malerisch schön. Wenn es auch immer drückender wird. Vielleicht auch aufgrund der Temperaturen genehmigen wir uns in Liebenwalde noch eine unplanmäßige Pause, wobei es sich als gar nicht so einfach herausstellt einen Gastronomen zu finden, der Geld verdienen möchte. Während wir uns gutgelaunt bei Eis, Bier und Fischbrötchen unterhalten, entgeht uns die bedrohliche Wolkenformation nicht. Und wenige Augenblicke später, erst eine Panne („geh mal mit deinem Lippenstift weg“, schubst Horst mit seiner großen Luftpumpe die Radinhaberin mit Mini-Luftpumpe zur Seite), dann müssen wir uns notgedrungen gewitterfein machen. Aber wir haben Glück, es bleibt bei einem kurzen Donnerwetter. Die Natur dampft richtig nach dem Wasserschock auf erhitzter Umgebung.

Zum Abschied ist uns noch eine schöne Abendstimmung am Oder-Havel-Kanal vergönnt, denn auf den letzten Kilometern feiern wir ein Wiedersehen mit der Hinstrecke. Der Sinn des Lebens ist seine eigene Existenz zu spüren und schätzen zu lernen. Mit Fahrradfahren gelingt es einfach immer.

Autor:

Norbert Michaelis aus Charlottenburg

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