Soll die Tram in den Westen zurückkehren?
Wenn Manfred Vormelker in alten Büchern blättert, sind die Bilder schwarz-weiß, doch seine Erinnerungen sind farbig. Straßenbahnen vor der Gedächtniskirche. Straßenbahnen auf der Steglitzer Schloßstraße und vor dem Rathaus Spandau. Das gab es, als Vormelker ein Kind war. Die Gegenwart aber riecht nach Gummi und Auspuff, braucht Geduld und Nerven und platzangstfreie Menschen in übervollen Bussen. Zeit für etwas Neues, dachte sich Vormelker. Zeit für etwas, das schon einmal da war und in Berlin wieder Moderne bedeuten kann, jetzt, da der Zeitgeist überall in Europa die Straßenbahn zurück auf die Gleise hievt.
Bürgerinitiative gegründet
Und so gründete er mit einigen Gleichgesinnten kürzlich die Bürgerinitiative "Spandauer Tram". Sie möchte Bürger, Geschäftsleute, Politiker und mögliche Investoren von den Vorteilen eines Straßenbahnnetzes in Spandau überzeugen und sie als Partner gewinnen. Sie wirbt in politischen und fachlichen Gremien für ihre Ideen, auf dass es links der Havel wieder Schienen und Stromleitungen geben möge. Am besten gleich im gesamten westlichen Stadtgebiet mit Spandau als "Keimzelle" der Elektrifizierung.
Was Vormelker am gleisfreien Nahverkehr stört, zeigt sich im Schatten des Rathausturms, wenn der Feierabend naht. "Sehen Sie, es ist immer das Gleiche: Da kommt ein verspäteter Bus. Alle Leute quetschen sich rein, er ist sardinenbüchsenvoll. Der nächste Bus folgt in zwei Minuten. Aber erst, wenn der einfährt, kommt der erste endlich los. Und der zweite bleibt leer", kommentiert der 54-Jährige dieses Schauspiel, das sich vor seinen Augen ständig ereignet. "In eine 33 Meter lange Straßenbahn hätten alle bequem reingepasst, wir hätten nur ein Gefährt gebraucht und der Fahrer wäre pünktlich losgekommen."
Straßenbahnen, sagt Vormelker, bewegen Fahrgäste nicht nur flüssiger und pünktlicher, sie holen sie auch dauerhaft aus ihren Autos. Wo Busse durch Trams ersetzt würden, sei ein Zuwachs von 100 bis 200 Prozent bei den Fahrgastzahlen die Regel. "In Dallas waren es sogar 600 Prozent." Ein Passant, dem die Begeisterung des Bahnfreundes nicht entgangen ist, ruft dazwischen: "Selbst Teneriffa hat jetzt Straßenbahn."
Warum Busse?
Teneriffa fährt also Tram, London orderte die seine bei einem Berliner Hersteller, in Paris belebte die neue "Tramway" eher unwirtliche Bezirke um das südliche Zentrum. Warum hält die deutsche Hauptstadt an Bussen fest? Weil die Veränderung zunächst einmal viel kostet. 450 Millionen Euro veranschlagt die Spandauer Initiative für den Bau von drei Linien zwischen ihrem Bezirk, Reinickendorf und Charlottenburg. Zwei Milliarden Euro gar für die Umstellung aller Metrobusse auf Gleistrassen. So winkt dann auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ab und sieht laut Sprecherin Petra Rohland "keine Aussicht auf die Umsetzung einer Straßenbahnplanung in Spandau in einem absehbaren Zeitraum". "Die Summe hört sich gewaltig an", räumt Vormelker ein. "Aber der Nachholbedarf ist nun mal groß." Mit privaten Finanzierungsmodellen und Zuschüssen vom Bund sei die Spandauer Tram binnen acht Jahren im Plus.
Eine Vorstellung, die sich mit dem Idealbild des Berliner Fahrgastverbands deckt. "Schienen sind gebaute Versprechen", umschreibt Sprecher Jens Wieseke das Zukunftsträchtige an neuen Trassen. "Alle Buslinien, die mit M oder X beginnen, sind umstellungswürdig. Potsdamer Straße, Sonnenallee, Neue Kantstraße - diese Verkehrswege schreien förmlich nach Schienen." Reichlich Potenzial habe Berlin nach der Wende liegen lassen und sich auf ein "Klein-Klein" des Ausbaus bestehender Linien beschränkt. Dazu eine "monsterteure Verlängerung der U-Bahn-Linie 5". Deren Baustellen verschlingen nicht nur etliche Millionen, sie blockieren aus Wiesekes Sicht auch den Weg einer Straßenbahnstrecke, die es in die ferneren Planungen des Senats geschafft hat: vom Alexanderplatz zum Rathaus Steglitz, frühestens zu verwirklichen ab 2019.
Zweifelhaftes Vergnügen
Noch ist dies das Reich des Doppelstockbusses M48. Und wer das zweifelhafte Vergnügen hat, sein regelmäßiger Fahrgast zu sein, weiß schon beim Einsteigen auf der Karl-Liebknecht-Straße, was kommt: Das Überholen von Radfahrern, die man nach dem nächsten Halt wieder vor sich hat. Das Durchstampfen von Schlaglochpisten, die Lieferanten und Falschparker auf der Busspur. Flüche der Damen und Herren am Lenkrad, mitleidiges Gemurmel der Passagiere hinter ihnen. Doppeldecker, hoffnungslos verspätet, kriechen mit dumpfem Motorgebrüll dem Zeitplan hinterher, schaukeln wie Dampfer über Bodenwellen - oder kommen gar nicht erst an.
Bei Busfahrten in Berlin wird sie noch greifbar, die "Romantik" des Reisens. Das Oberdeck ist die Loge, bei Überfüllung bleibt die vordere Tür auch schon mal geschlossen - kein Einlass mehr. Hier gibt es Stoff, aus dem Geschichten sind. Man erzählt sie sich im Internet, mit Liebe und Häme. "M29 - der Bus der Hölle" nennt sich eine der Seiten, die dem Chaos in Wort und Bild zu huldigen weiß. "Hab gerade sechs Busse verpasst. Wann kommt der nächste?", fragt ein Nutzer dort in Anspielung auf die "Herdenbildung" der großen Gelben. Freilich kommt nach so einer Kolonne ganz lange nichts mehr.
Die Zukunft gehört der Tram
2013 verheißt der Geruch von Diesel das Nostalgische. Die Zukunft, glaubt Manfred Vormelker, der in seinem Buch vorwärts blättert, die Zukunft gehört wieder der Tram.
Lieber Bus als Straßenbahn
Mehrheit will keine Tram im Westteil Berlins
Von der Straße auf die Schiene? Daran zweifelt die Mehrheit der Leser unserer Reportage aus der vergangenen Woche. Auf die Frage, ob Westbezirke wieder ein Tram-Netz brauchen, stimmten nur 38 Prozent mit Ja. Dieses Votum nimmt Manfred Vormelker, der mit seiner Bürgerinitiative "Spandauer Tram" für die Wiedereinführung von Straßenbahnen im Westteil der Stadt kämpft, mit Bedauern zur Kenntnis. "Verkehrsmäßig ist Berlin immer noch geteilt", sagt er. Zu schwer wiegt aus Sicht der Leser offenbar das Kostenargument der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. So verweist Sprecherin Petra Rohland auf eine "Vielzahl bedeutender Infrastruktur-Maßnahmen", die derzeit bezahlt werden müssen. Das nächstmögliche Straßenbahn-Großprojekt, eine Verbindung vom Alexanderplatz zum Rathaus Steglitz ab 2019, veranschlagt Rohland mit 140 Millionen Euro. Vormelker kontert finanzielle Bedenken mit anderen Thesen: Durch eine schnelle Umstellung auf Trams würden die Straßen der Stadt entlastet. "So ein Bus wiegt ja 20 Tonnen", sagt er. Tram-Systeme seien zwar teurer als solche mit Bussen, aber im Anbetracht der hohen Kosten für U-Bahn-Tunnel seiner Meinung nach die richtige Wahl für die Zukunft.
Die Geschichte der Straßenbahn in Berlin begann 1882, als Werner von Siemens die ersten elektrischen Wagen in Westend zum Einsatz brachte. Bis 1901 setzten sich die elektrischen Bahnen auf allen Strecken gegen die Pferdewagen durch. Nach der Teilung Berlins spaltete sich die BVG in Ost und West und beförderte Passagiere jeweils nur noch bis zur Grenze. Während das Netz im Ostteil der Stadt erhalten blieb, entschied sich der West-Berliner Senat 1953 zur Abkehr vom Straßenbahnbetrieb. Die Gleise verschwanden im Zuge des Modells einer autogerechten Stadt. Ab 1967 prägten Busse das Bild. Heute betreibt die BVG mit 22 Linien auf einer Strecke von 190 Kilometern das drittgrößte Tramnetz weltweit. Doch nur zwei Linien (M13 und 50) verkehren in einem westlichen Alt-Bezirk. 157 Millionen Passagiere im Jahr nutzen die Straßenbahnen auf ihren 1,3 Millionen Fahrten. Summiert man die täglich gefahrene Strecke, reicht sie fast eineinhalbmal um die Erde.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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