Wenn die Kundin in den Meisenknödel beißt
125 Jahre Wochenmarkt auf dem Karl-August-Platz / Händler laden am 21. September 2019 zur Geburtstagsparty
Es gibt es noch, das Marktidyll im Bezirk. Auf dem Karl-August-Platz etwa, rund um die Trinitatis-Kirche. Zweimal pro Woche wird rege ver- und gekauft, gefeilscht und geschnackt. In diesem Jahr jährt sich der Wochenmarkt zum 125. Mal und das wird am 21. September kräftig gefeiert.
"Drei Schalen zum Preis von zwei Schalen", hallt es von einem Obststand durch die Gasse. Alle drei Meter strömt einem ein anderer angenehmer Geruch in die Nase: frisches Obst und Gemüse, leckerer Käse und feinstes Fleisch. An der Ecke Goethestraße und Weimarer Straße steht der "Mokka-Muli", ein zur Kaffee-Bar umfunktioniertes Vespa-Dreirad. Hier genießen die Bürger des Kiezes ihren morgendlichen Wachmacher, bevor es für den Wocheneinkauf wenigstens einmal ums Karree geht. Eine Seitenlänge des Wege-Quadrats um die Kirche herum weiter gibt es Crêpes in allen Variationen, an der der nächsten Ecke diagonal zum mobilen Kaffeestand werden Currywürste angeboten, inklusive flottem Spruch des Imbiss-Chefs. An der vierten Straßenkreuzung sind türkische Spezialitäten Trumpf – geschwächt muss hier wirklich niemand seine Runden drehen.
Seit 71 Jahren auf dem Markt vertreten
220 Händler fahren jeden Sonnabend und Mittwoch ein Angebot auf dem Karl-August-Platz unweit der Fußgängerzone Wilmersdorfer Straße auf, das es in dieser Vielfalt selten gibt. Hinzu kommen handgeschöpfte Schokoladen beispielsweise, Spezialitäten aus Apulien oder Tiernahrung aus dem gehobenen Segment, wie sie Heidi Hilprecht mit ihrer "Futterhandlung Hilprecht" verkauft. Ihre Eltern haben sich 1948 auf dem Markt kennengelernt und gemeinsam – zunächst noch parallel zum Kräuter-Marktstand des Vaters – den Handel mit Tierfutter begonnen. „Meine Mutter war ein Verkaufstalent, mein Vater für den Einkauf zuständig. Das Land erholte sich so langsam vom Zweiten Weltkrieg und so ist die Idee zum Erfolg geworden“, sagt Hilprecht. Seit 71 Jahren schon steht ihre Familie nun in zweiter Generation an der gleichen Stelle an der Goethestraße auf dem Markt, am längsten von allen Händlern. Ihre Mutter sei als kleines Kind mit ihrer Oma schon dort beim Einkaufen gewesen. "Die Familie wohnte damals in der Cauerstraße und meine Onkel mussten meiner Oma entgegenkommen, um ihr die Einkaufstaschen abzunehmen." Eigentlich hatte Heidi Hilprecht andere berufliche Pläne: „Ich wollte nicht so früh aufstehen“, erinnert sie sich und lacht. Als ihr Vater aber schwer erkrankte, war sie als Hilfe unentbehrlich und nun steht sie selbst bereits seit 37 Jahren hinter dem Tresen ihres Hängers. Missen möchte sie kein einziges davon. „Es ist viel Arbeit, aber es macht mir immer noch ungeheuren Spaß“, sagt sie. „Ich mag Menschen und die soziale Komponente spielt in unserem Beruf eine ganz wichtige Rolle. Ich kann gut zuhören und die Kunden, egal ob jung oder alt, erzählen mir einfach alles.“
Bei Wind und Wetter
Eine ihrer schönsten Erinnerungen war das 50. Marktjubiläum ihrer Mutter. „Der damalige Stadtrat war da, die Feier war mit allem Drum und Dran. Richtig toll.“ Heidi Hilprecht, 1963 geboren, ist nach eigenem Bekunden die Einzige, die wirklich immer da ist. Und obwohl sie viel erlebt hat – einmal stand sie etwa bei minus zwölf Grad ganz allein mit ihrem Wagen auf dem Platz –, ist ihr einmal der Mund vor Staunen offen stehen geblieben: „Eine Kundin wollte bezüglich Qualität und Konsistenz meiner Meisenknödel sichergehen und hat selber hineingebissen.“
"Die Zeiten haben sich geändert"
Zusammen mit dem Blumenhändler-Ehepaar Andreas und Ramona Trochim, die ihren Stand "Andy’s und Mona’s Blumentraum" ein paar Meter weiter in der gleichen Zeile haben, hat Hilprecht die Feierlichkeiten für das Jubiläum geplant. „Mona hat das meiste organisiert, ich war angefressen.“ Zur Vorbesprechung seien nämlich gerade einmal zwölf Kollegen gekommen. „Die Zeiten haben sich geändert, die meisten Standbetreiber interessiert die Geschichte des Marktes nicht, sie betrachten so eine Feier unter rein wirtschaftlichen Aspekten. Ich sehe sie auch als Dankeschön an die Kundschaft, die uns seit Jahr und Tag die Treue hält.“ Andreas Trochim liefert ein passendes Beispiel: „Ein Kollege hat gesagt, er wisse nicht, wie er das organisieren solle, wenn es länger als 14 Uhr dauere, und wollte eher nicht teilnehmen. Er hat einen Drei-Meter-Stand, was gibt es denn da zu organisieren?“
Die Trochims bestätigen auch Hilprechts Analyse, das Publikum habe sich im Laufe der Jahre verändert. Früher sei jedermann bei ihr gewesen, sagt die Futterhandel-Chefin, heute würden mittwochs oft die Mütter mit ihren Kinderwägen fehlen. „Alle müssen arbeiten“, sagt sie. Andreas Trochim beobachtet indes mehr und mehr „Hipster“, die den Wochenmarkt für sich entdecken würden. Auch viele Schauspieler und andere Künstler kämen mittlerweile, das sei ja auch ganz nett.
"Hier kann ich sein wie ich bin“
Andreas Trochim begann seine Marktkarriere vor 29 Jahren mit einem Auto ohne TÜV, 2800 Mark Eigenkapital und Pflanzen, die er in der eigenen Wohnung kultivierte. „Wir haben immer nur das investiert, was wir verdient haben, hatten nie Schulden.“ Mehrere feste Geschäfte eröffneten die Trochims, waren auf sechs Wochenmärkten vertreten. Bis der Körper streikte und das Familienleben zu sehr litt. „Ich stand kurz vor dem Burnout. Wir haben drei Kinder und meine Frau hat dann die Notbremse für uns gezogen. Seither machen wir ein bisschen ruhiger“, sagt der 52-Jährige mit der Berliner Schnauze, die er nach eigenem Empfinden habe und der er wirklich nur auf dem Markt freien Lauf lassen könne. „Deshalb bin ich noch immer hier. Hier kann ich sein wie ich bin.“
Mona Trochim hatte darauf bestanden, das Fest trotzdem zu machen, für sich selbst und die genauso denkenden Kollegen. „Also gibt es jetzt eine Hüpfburg, einen Zuckerwatte-Stand, ein Karussell und vor der Kirche eine Bühne, auf der ein buntes Programm stattfinden wird“, sagt sie und die Vorfreude auf den 21. September spricht aus ihren Augen. Um 10 Uhr geht es los. „Wir rechnen mit richtig viel Verkehr auf dem Marktplatz und den Straßen ringsherum“, ergänzt Heidi Hilprecht. "Wir empfehlen, zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der BVG zu kommen." Trotz aller Veränderungen, Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten wissen sie und die Trochims genau, warum ihr Wochenmarkt etwas ganz Besonderes bleibt: "Die Vielfalt des Angebots und die persönliche Fachberatung sind einzigartig, und häufig lernt man den Produzenten des Produktes auch gleich kennen."
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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