Blumen, Guides und Qualitätstourismus: Kurfürstendamm wird Vorzeigestraße
Charlottenburg-Wilmersdorf. Berlin mag zum Biertrinken locken, zum Shoppen beim Wochenendtrip oder zum Abtanzen: Der Kurfürstendamm ist für alle da. Und er steckt wieder einmal in Veränderungen. Ein Überblick.
„Mich siehst Du“, sagt der Glockenturm zum Besucher. Ein Spruch auf orangefarbener Plane über der aktuellen Baustelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Ein Hinweis auf den Evangelischen Kirchentag von 24. bis 28. Mai in Berlin. Und auch Schutzhülle für den reparaturbedürftigen Turm. Womöglich auch ein Sinnbild für den Zustand der City West? Wie die Kirchgebäude ist sie ständig im Bau befindlich, aber selbst im Übergangszustand attraktiv.
Touristen mit Anspruch
Es war vielleicht die wichtigste Erkenntnis bei den Kurfürstendamm-Gesprächen der hiesigen Interessengemeinschaft Anfang Mai. Hier entlockte Gastgeber Peter-Michael Riedel seinem Talkpartner Baustadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) die entscheidende Bemerkung: Es gebe in Berlin verschiedene Untergruppen von Touristen. Natürlich jene, die man als „Easyjetset“ bezeichnen kann und die das Partytreiben im Ostteil der Stadt genießen. Und die Qualitätsbewussten, die ernsthaft Geld und Zeit mitbringen, dafür aber mehr Gegenwert wollen. „Mit dieser Zielgruppe arbeiten wir noch nicht genug“, beschrieb Schruoffeneger die Perspektive für den Kurfürstendamm.
Zumindest feilen Bezirksamt und Anrainer daran, es Genießern, Boutiquekunden und Messebesuchern künftig angenehmer zu machen als jetzt. Besonders vielversprechend: die Gründung der ersten Standortgemeinschaft nach dem Model Business Improvement District. Eine öffentliche Anhörung zur Einführung des ersten BID Berlins ist dieser Tage im Gange.
Tauentzien neu gestalten
Und sollte die Umsetzung gelingen, investieren Grundstückseigentümer und Gewerbetreibende an Kurfürstendamm und Tauentzien 8,7 Millionen Euro in mehrere Verbesserungmaßnahmen. Dann bekäme der Mittelstreifen der Tauentzienstraße endlich eine würdige Aufmachung, womöglich mit Blumen aus der einzigartigen Bezirksgärtnerei. Dann wären neue City Guides für Ortsfremde da. Und dann kämen Händler über die Auswertung von Smartphone-Daten der Kunden an statistische Fakten. Wer stammt woher? Wer kauft wo? Bei solchen Fragen wäre die Privatsphäre berührt. Ein sensibler Punkt, der vor der Umsetzung wohl am meisten Beratung braucht.
Auch so bleibt der Ku’damm in Sachen Einzelhandel eine Macht. Selbst ohne die Mall am Standort des jetzigen Karstadt-Hauses. Dieses Großprojekt wird laut Schruoffeneger anders als von manchen Medien berichtet nicht in diesem Jahr zum Baustart kommen. Sehr wahrscheinlich ist dies aber einen Kilometer weiter im Fall des Ku’damm Karrees, wo das Bezirksamt bis Juni mit dem Bauantrag von Cells Bauwelt rechnet. Die Bewilligung ist nach Beilegung des Streits um die alten Theater garantiert.
Ein komplett erneuerter Büroturm, Hotellerie, Shops, eine offene Passage zum neuen Stadtplatz am Fuße des Turms, ein neues Theater unter der Erde, die Eröffnung der Spielbank Berlin an der Schlagader Charlottenburgs – das künftige Karree könnte die Balance am Boulevard ab 2021 völlig verändern.
Ku'damm zweigeteilt
Laut Schruoffeneger kristallisierte sich zuletzt eine ungünstige Zweiteilung heraus: Am „unteren“ Ku’damm ballt sich der Handel, am „oberen“ Ende nahe des Bahnhofs Halensee die Gastronomie. Eine Auflockerung dieser Teilung könnte die Eröffnung des neuen Cafés am Lehniner Platz bewirken.
Hier plant die BVG-Tochterfirma Urbanis den Bau eines gläsernen Pavillons. Und kaschiert damit den Effekt einer „kahlen Piste“. Denn auch beim Gespräch mit der Interessengemeinschaft Kurfürstendamm ließen es sich Anwohner nicht nehmen, die betonierte Freifläche als Fehlentwicklung zu tadeln. „Früher war Leben auf dem Lehniner Platz. Und wir hatten einen funktionierenden Markt“, trauerte ein Gast dem alten Zustand hinterher. Inzwischen sei der Wochenmarkt wegen der unattraktiven Gesamtsituation auf wenige Buden geschrumpft. Ob der neue Café-Kiosk vergraulte Platzbesucher zurückholt? Auf den Segen des Bezirks musste Urbanis nicht lange warten. Der Baustart? Womöglich schon in diesem Jahr.
Es tut sich Einiges
Unübersehbar im Gange sind hingegen die Arbeiten am „Zoom“ – dem Nachfolgergebäude des berühmt-berüchtigten Aschinger-Hauses mit Rotlicht und Ramsch. Aber ob die Ansiedlung einer Primark-Filiale an der Joachimsthaler Straße Aufwertung bringt? Der Bezirk kann dem Investor Hines keine Vorschriften zur Vermietung machen, auch wenn man Fair Trade lieber sähe als Discounttextilien. Wegen der fragwürdigen Produktionsbedingungen von Primark erklärt Schruoffeneger dem künftigen Geschäft jedoch den Kampf – wenn auch nur auf Ebene der Mentalität. Die Markenbildung des Ku’damms als Boulevard für Qualitätsbewusste beginnt im Kopf. tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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