Heimat in Kisten: Der Umzugsbetrieb Hertling befördert Besitz seit 150 Jahren
Charlottenburg. Vom kaiserlichen Hofspediteur zum globalen Dienstleister: Das Familienunternehmen Hertling blickt zurück auf eineinhalb Jahrhunderte der Bewegung. Ob man nun den Hausstand von Diplomaten von einem Punkt zum anderen schafft oder die Habseligkeiten des Normalbürgers – Hertlings kräftige Jungs waren zu allen Zeiten Heimatmacher.
Schnaubende Rösser. Sie zeigten, dass jemand etwas besaß. Je größer der Auftrag, desto angestrengter die Pferde. Solche Faustregeln galten im Herbst des Jahres 1865, als sich ein gewisser Emil Hertling anschickte, das Speditionswesen in Charlottenburg in seine Hand zu nehmen. Was vor 150 Jahre in dieser Branche vor sich ging? Es hat nur entfernte Ähnlichkeit mit den Erfordernissen an einen Dienstleister, der im Jahre 2015 Möbelkisten bis nach Australien verschifft.
Zu Kaisers Zeiten war die Stammstrecke kurz, aber reich an Prestige. Schließlich schnaubten Hertlings Rösser damals im Namen seiner Majestät. Und wenn der Hofstaat mit seinen Habseligkeiten von Berlin nach Potsdam übersetzte, kündeten ab 1910 Embleme an den Wagen vom hoheitlichen Auftrag der Fuhre. Schwere Lasten, Möbel, Schmuckstücke, Bücher. All das, was der Auftraggeber sein Zuhause nennt, muss früher oder Später einmal auf Achse. Wenn Besitztümer reisen müssen, wenn sich Heimat wegverlagert von einer Bleibe zur nächsten, zeigt sich der Wert von logistischer Leistung.
In der nunmehr fünften Generation leitet die Familie Hertling – nach der Betriebsgründung in der Otto-Suhr-Allee heute in der Sophie-Charlotte-Straße ansässig – weiterhin selbst die Geschicke. Und Helmut Hertling, Urenkel des Gründers, hat als Mitgesellschafter die Prinzipien Emils tief verinnerlicht, wenn er sagt: „Unser Geschäft ist die Bewegung.“ Dabei blieb die Firma selbst eine Konstante, ein Stück Heimatlichkeit im stets vorwärtsstrebenden Charlottenburg. 150 Mitarbeiter arbeiten an fünf Standorten in ganz Deutschland dafür, dass sich der Auftraggeber am Ziel der Reise schnell wieder heimisch fühlt. Und selbst die Angestellten brachten mit den Jahren ihre Kinder und Enkel ein.
Zu den größten Aufträgen der jüngeren Vergangenheit zählt der Umzug des Bundesinnenministeriums. Und Hertlings Kartons waren natürlich auch im Spiel, als Bezirksamtsmitarbeiter das Rathaus Wilmersdorf räumten – der Ruf des Hofspediteurs von nebenan hallt offenbar nach. Je komplizierter die Aufgabe, desto größer die Wahrscheinlichkeit, das Helmut Hertlings Firma zum Zuge kommt. Diplomaten, die alle paar Jahre ihren Standort wechseln, sind Stammkunden. Aber man meistert auch Härtefälle, wenn sich der Unrat in einer Messie-Wohnung bis unters Dach stapelt. Hertling zuckt die Achseln – „da müssen wir durch.“ Vom Know-How profitierte kürzlich aber auch ein Charlottenburger Professor mit einer gewaltigen Sammlung von Büchern. „Wir haben sie abgeräumt und in der neuen Wohnung genau in dieser Reihenfolge wieder aufgestellt. Das hatte er gar nicht für möglich gehalten“, erinnert sich Helmut Hertling.
Noch anspruchsvoller wird die Verfrachtung freilich, wenn hochwertige Kunst auf Reisen geht. Meterhohe Statuen in Spezialverpackungen? Hertling befördert auch sie. Akten, die Anwälte nicht ständig brauchen, verwahrt man wiederum dauerhaft in Containern – und bringt sie nur auf Anfrage in die Kanzlei. Es ist diese Dienstleistungsmentalität, die das Vertraute, das Wertige und Liebgewonnene festhält in einer immer schnelllebigeren Welt. Der Inhalt des Worts „Heimat“ bleibt bis heute verwurzelt im Geschäft.
„Es ist eine Besonderheit, wenn ein Startup sich 150 Jahre hält“, lobt Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann diesen langen Atem. Und dafür, dass er so bald nicht versiegt, bürgt nun schon die fünfte Generation der Dynastie, namentlich Eric Cock-Johnsen. Es naht der Tag, an dem der 39-Jährige die Zügel übernimmt und Globalisierung und Digitalisierung handhaben muss wie besonders schwere Kisten. Hertling, gegründet im Schatten des Rathausturms, wird seine Werte trotzdem nicht ändern. „Wir sind ein Berliner Unternehmen“, sagt Cock-Johnsen. „aber unser Herz schlägt in Charlottenburg.“ tsc
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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