"Der Mix macht's"
Studie zur Wilmersdorfer Straße vorgestellt
Große Kaufhäuser verschwinden und auch kleine Geschäfte sind vom konkurrierenden Online-Handel bedroht. Die Einkaufsstraße von morgen wird eine andere sein als heute. Wie dieser Wandel gestaltet werden kann, zeigt eine aktuelle Studie zur Wilmersdorfer Straße.
Die Wilmersdorfer Straße ist eine Grande Dame des Bezirks. Zentral gelegen und historisch gewachsen, beliebt und engagiert ist sie nicht nur eine florierende Einkaufsstraße, sondern auch Treffpunkt, Flaniermeile, Wohnort und Nachbarschaftszentrum. Und doch wird die Wilmersdorfer Straße von morgen nicht mehr so aussehen wie heute. Eine Studie der TU Berlin hat sich das im Auftrag der bezirklichen Wirtschaftsförderung genauer angeschaut.
Gesundheit und Kultur
sind unterrepräsentiert
Welche Zukunftsperspektiven hat das Gewerbe? Welche Geschäfte und Institutionen sind überhaupt (noch) vor Ort? Wer sind die Ankermieter, wie hoch sind die Mietpreise, wer geht hier einkaufen, was sagen Kunden und Geschäftsleute? Um solche Fragen geht es in der Studie. Damit die Antworten möglichst präzise ausfallen, haben sich TU-Professor Lech Suwala, Fachgebietsleiter für Stadt- und Regionalökonomie, und sein Team auf die Erdgeschosszonen in dem knapp zwei Kilometer langen „Projektgebiet Wilmersdorfer Straße“ konzentriert. 285 Gewerbeeinheiten fasst die Studie hier zusammen. Davon seien knapp 60 Prozent inhabergeführt, vor allem nördlich und südlich der Wilmersdorfer Straße, wie Lech Suwala bei der Präsentation im „TUMO“ erläuterte. Die anderen 40 Prozent sind Filialen größerer Ketten, zu finden vor allem im Mittelteil von der Bismarckstraße bis zur Gervinusstraße. In der Summe dominieren in der Wilmersdorfer vor allem Drogerie- und Kosmetikwaren, Buchhandlungen, Klamottenläden, Elektroartikel- und Spielwarengeschäfte. Angebote aus Gesundheit, Soziales und Kultur sind zwischen Einzelhandel, Dienstleistungen und Gastronomie dagegen deutlich unterrepräsentiert. 18 der 285 Geschäfte und damit 6,3 Prozent stehen leer. Was im Vergleich zu anderen Berliner Einkaufsmeilen „nicht schlecht aussieht“, so Suwala. „Das heißt aber nicht, dass wir in Zukunft nicht genauer hinschauen müssen.“
Gentrifizierung des Gewerbes droht
Bei den Gewerbemieten gibt sich die Wilmersdorfer im Gegensatz zum Kurfürstendamm recht moderat. Die Qadratmeterpreise liegen zwischen 30 und 90 Euro und sind damit seit 2019 leicht gesunken. Dagegen sind die Bodenrichtwerte (Grundstücke) mit 5500 Euro pro Quadratmeter deutlich gestiegen. was kleinere, inhabergeführte Geschäfte zu verdrängen droht. Gewerbegentrifizierung kann laut Studie die Folge sein. Zu den Magnaten zählen unter anderem das Mientus-Kaufhaus, die „Wilma“ und Karstadt. Das Warenhaus soll nach 116 Jahren vor Ort allerdings 2024 geschlossen werden – was für die Einkaufsstraße ein herber Verlust wäre. Wie es am Karstadt-Standort weitergehen könnte, darüber sei man mit den Eigentümern im Gespräch, ließ Bürgermeisterin Kirstin Bauch (Grüne) bei der Veranstaltung wissen. Die Bezirksverordneten werden sich auf ihrer Dezember-Sitzung näher mit der Thematik beschäftigen.
Stärkerer Nutzungsmix und Ideenbörse
Die meisten Kunden der Wilmersdorfer kommen laut Studie aus der direkten Nachbarschaft. Viele suchten hier gezielt die Fachgeschäfte auf, andere kämen eher zum Schlendern oder seien Touristen, wusste Mitautorin Nina Pfeil aus Interviews zu berichten. Im Fazit sei die Wilmersdorfer Straße aber vor allem eine Kiezstraße, weshalb der Einzelhandel hier künftig nicht mehr so dominieren sollte. Eine stärkerer Nutzungsmix liegt als Antwort auf der Hand. Die Studie bringt hier einige Beispiele und schlägt Handlungsoptionen vor. Dazu gehören beispielsweise neue Wegeleitsysteme, eine einheitliche Beleuchtung, mehr Sitzbänke und mehr Grün, regelmäßige Wochenmärkte und Bespielung der Straße, neue Begegnungsorte, Kunst und Kultur als Zwischennutzung leerer Geschäfte. „Vieles ist ja schon da, auch in den Nebenstraßen“, sagte Lech Suwala. „Man muss es nur besser nutzen.“ Über Public-Private-People-Partnerships zum Beispiel, denn es brauche neue institutionelle Verbündete. Vielfältige Akteure auch aus der Zivilgesellschaft müssten langfristig eingebunden werden, um ein Netzwerk aufzubauen. Es brauche Kooperationen und hoheitliche Steuerung, wolle man die Wilmersdorfer nicht dem Wettbewerbsmarkt überlassen. Präventive Maßnahmen gegen den Leerstand könnten laut Studie eine digitale Plattform oder Ideenbörse sein. So könnten Nutzungen ermöglicht werden, die es auf dem freien Markt eher schwer haben wie Start-ups oder Pop-up-Stores, die sich ausprobieren wollen. Oder für Kultur oder Wohnen. Suwala: „Der Mix macht’s, aber lokal gut sortiert, so überlebt die Wilmersdorfer Straße.“
Verlängerung der Fußgängerzone bis 2023
An der Studie hat das TU-Team ein halbes Jahr gearbeitet. Sie ergänzt das Einzelhandels- und Entwicklungskonzept des Bezirksamtes, das private Engagement von Initiativen wie der AG Wilmersdorfer Straße und die Analyse des Standortmanagements im Auftrag der Wirtschaftsförderung. In einem nächsten Schritt ist geplant, die Fußgängerzone verlängern. „Wir sind inzwischen so weit, dass wir anfangen wollen“, informierte Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). Die Teileinziehung des Abschnitts zwischen Schiller- und Bismarckstraße sei im Amtsblatt angekündigt, im Februar 2023 könnten die ersten Maßnahmen beginnen. Die Schillerstraße wird demnach beidseitig zur Wilmersdorfer Straße hin für den Verkehr geschlossen. Für Lieferfahrzeuge entsteht ein Wendehammer. „Wir staffeln die Bauarbeiten, sonst haben wir fünf Monate lang Chaos“, so der Stadtrat. Bis zum dritten Quartal 2023 will das Bezirksamt die verlängerte Fußgängerzone fertig haben.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.