Die Filmsequenzen sind Allgemeingut. Zumindest für jeden, der sich näher mit dem Nationalsozialismus beschäftigt hat.
Roland Freisler, berüchtigter Präsident des Volksgerichtshofs, sitzt über die Angeklagten des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 zu Gericht. Es gibt kein faires Verfahren, vielmehr brüllt Freisler die Beteiligten oder Mitwisser nieder. Dass fast alle zum Tod verurteilt werden, stand ebenfalls schon vorher fest.
Diese Szenen sind zu einem Synonym für die Rechtlosigkeit des NS-Staates geworden. Aber wie der Volksgerichtshof als williger Vollstrecker entstand und funktionierte ist eher wenig geläufig. Aufklärung leistet die Stiftung Topographie des Terrors mit einer Ausstellung. Es ist nicht die erste zu diesem Thema. Bereits 2002 hatte sich die Topographie damit beschäftigt. Damals aber im kleinen Rahmen auf der Außenfläche an der Niederkirchner Straße. Jetzt passiert das im 2010 fertiggestellten Stiftungsgebäude.
Mehr als 5200 Todesurteile
Die Schau ist in drei Abschnitte untergliedert. Der erste erklärt das Entstehen und die Arbeitsweise dieser "Rechtsprechung". Hervorgehoben wird unter anderem, dass sich der Volksgerichtshof im Laufe seines Bestehens zwischen 1934 und 1945 immer weiter radikalisierte. Deutlich wird das an der Zahl der ausgesprochenen Todesstrafen. Sie stieg bis 1944 auf einen Höchststand von rund 2000. In den elf Jahren wurden mehr als 5200 Menschen zum Tod verurteilt. Das waren knapp ein Drittel der insgesamt mehr als 16 700 Verfahren. Der Kriegsverlauf spielt dabei eine Rolle. Je mehr es auf das Ende des NS-Staates zuging, desto menschenverachtender agierten die Richter.
Eingesetzt hatten die Nazis das Gremium nach den aus ihrer Sicht unbefriedigenden Urteilen des Reichsgerichts beim Prozess um den Reichstagsbrand im Februar 1933. Zwar wurde der Hauptangeklagte Marinus van der Lubbe zum Tod verurteilt, vier Beschuldigte aber freigesprochen. Ähnliches sollte nicht mehr passieren. Dafür sollte der Volksgerichtshof sorgen. Er hatte sich mit Delikten im Bereich des Landesverrats zu befassen, was unter den gegebenen Umständen ein weites Betätigungsfeld beinhaltete. Dass harte Strafen erwünscht waren, gehörte von Beginn an zu diesem Konstrukt, bis hin zu persönlichen Interventionen von NS-Größen, welches Urteil erwartet wurde, wie Kuratorin Claudia Steur erläuterte.
Trotzdem gab es zumindest in den Anfängen bisweilen ein, wenn auch eher formales Beharren auf Unabhängigkeit. Ein Richter protestierte dagegen, dass eine Frau, die er gerade freigesprochen hatte, noch im Saal von der Gestapo verhaftet wurde. Allerdings ging es ihm weniger um den Übergriff, sondern vielmehr darum, mehr dass er an diesem Ort und vor seinen Augen passierte.
Überzeugte Nazis auf dem Richterstuhl
Solche letzten Substanzen des Postulats des Gewaltenteilung waren später nicht mehr vorhanden. Dafür sorgte bereits die Vorgabe, dass jedes Strafgremium, Senat genannt, aus zwei hauptamtlichen und drei Laienrichtern zusammengesetzt wurde. Bei letzteren handelte es sich überwiegend um überzeugte Nationalsozialisten, im Zweifel stellten sie die Mehrheit. Und auch die ausgebildeten Richter waren, je länger die NS-Zeit dauerte, umso mehr von deren Ideologie infiltriert.
Das Volksgerichtshof bestand zunächst aus drei Senatskammern. Am Ende waren es acht. Zuständig war er später auch für Verfahren in vom Deutsche Reich einverleibten Gebieten wie Österreich oder das Sudetenland sowie in den während des Kriegs besetzten Ländern, etwa Belgien oder Frankreich.
Viele Verurteilte sind heute vergessen. An die Biografien von etwa 300 wird in der Ausstellung an einer Medienstation erinnert. Die bekanntesten Opfer waren die Münchener Studentengruppe "Weiße Rose" und die Widerstandskämpfer im Zusammenhang mit dem 20. Juli. Ihnen ist die zweite Abteilung gewidmet.
Diese Prozesse standen jeweils unter der Ägide von Roland Freisler, Vorsitzender des Volksgerichtshof seit 1943. Dem Führer die gewünschte Bestrafung von "Volksfeinden" zu liefern, war sein Antrieb. Freisler starb bei einem Bombenangriff im Februar 1945 im damaligen Gerichtsgebäude am Kleistpark in Schöneberg. Seiner Witwe sicherte sein Tod auch in der Bundesrepublik eine Richterpension.
Wenige Anklagen, keine Verurteilungen
Was zum Umgang mit den Repräsentanten des Volksgerichtshof führt, dem sich die dritte Abteilung widmet. Nur wenige wurden angeklagt, keiner verurteilt. Viele sprachen danach im westdeutschen Staat Recht. Grundlage dafür war ein Spruch des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1956. Es attestierte ihnen, im Rahmen der damals geltenden Gesetzmäßigkeiten gehandelt zu haben. Erst 1998 hob der Bundestag alle Urteile des Volksgerichtshofs auf.
Terror durch "Recht" lautet die Überschrift der Ausstellung. Sie stieß trotz der Anführungszeichen teilweise auf Einwände. Nach Ansicht von Claudia Steur und Topographie-Chef Andreas Nachama stehe der Titel für die Beschreibung dessen, was unter entsprechenden Prämissen als legal erachtet werde. Schutz vor solchen Exzessen biete ein Beharren auf Rechtsstaatlichkeit und eine unabhängige Justiz – auch das ein Anliegen der Ausstellung.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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