"Wir sollten nicht sitzen und warten"
Pfarrerin Johanna Hestermann erzählt von Beruf und Berufung

33 Jahre jung ist Johanna Hestermann. Ihren Beruf versteht die Pfarrerin eher als Berufung.  | Foto: Ulrike Kiefert
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Die drei evangelischen Gesundbrunnen-Gemeinden haben eine neue Pfarrerin. Für Johanna Hestermann ist es die erste Pfarrstelle. Ihren Beruf beschreibt die 33-Jährige als „sehr selbstbestimmt und vielfältig“. Und ja, als Pfarrerin darf man auch politisch sein.

Von Weitem wirkt der tempelartige Schinkelbau recht deplatziert. Draußen lärmt die Kreuzung, Menschen hasten zur U-Bahn, nebenan Imbisse und Billigläden. Doch wer durchs Tor tritt, wird überrascht. Der Putzbau zeigt seine prachtvolle Seite. Und im grünen Innenhof ist es angenehm still. An einem der runden Holztische sitzt eine junge Frau. Sie trägt Jeans, blondes Haar und einen dunkelblauen Blazer. Ihr Blick ist herzlich und hellwach. Es ist Johanna Hestermann, die neue Pfarrerin der drei evangelischen Gesundbrunnen-Gemeinden. In der St.-Paul-Kirche an der Badstraße hat sie Mitte Januar ihr Pfarrbüro bezogen. „Es ist meine erste Pfarrstelle, ich hatte großes Glück, dass es gleich geklappt hat“, sagt die 33-Jährige.

„Ich wollte mich umfassender mit der Frage nach dem Warum beschäftigen“

Auch wenn man als Pfarrerin entsandt wird, will die Kirche Referenzen sehen. Und die hat Johanna Hestermann zweifelsohne. Sie hat in Berlin Theologie studiert, war in Schottland, hat in Heidelberg ihr kirchliches Examen gemacht und ist zum Vikariat in die Hauptstadt zurückgekehrt. Aufgewachsen ist die junge Frau in Hessen, ihren Mann, einen studierten Philosophen lernte sie im Studentenwohnheim in Mitte kennen. Beide haben eine dreijährige Tochter und wohnen mittlerweile in Prenzlauer Berg. Eigentlich wollte Johanna Hestermann Filmregisseurin werden. „Das war am Ende meiner Schulzeit.“ Es habe sie dann aber doch zur Theologie hingezogen. „Ich wollte mich umfassender mit der Frage nach dem Warum beschäftigen“, sagt sie. Eine Antwort hat sie darauf nicht. „Die Kirche sollte keine finalen Antworten geben, sondern ein Ort sein, an dem die Menschen nach dem Warum fragen können.“ Deshalb stellt sich auch für sie die Sinnfrage immer wieder neu. Das macht ihren Beruf, oder besser gesagt, ihre Berufung so spannend. Und natürlich die Begegnung mit sehr unterschiedlichen Menschen, für die Johanna Hestermann nicht nur Pfarrerin, sondern auch Seelsorgerin ist.

6800 Gemeindemitglieder zu betreuen

Rund 6800 Mitglieder haben die drei Gesundbrunnen-Gemeinden an der Panke, am Humboldthain und in der Kapelle der Versöhnung an der Bernauer Straße, für die Johanna Hestermann jetzt zuständig ist. Nicht allein, betont sie, denn in jeder Gemeinde unterstützt sie ein Kollege und ein ehrenamtliches Leitungsgremium. Von allen sei sie sehr herzlich empfangen worden, sagt die Pfarrerin, die ihren Tag damit beginnt, ihre Tochter für die Kita fertig zu machen, bevor sie ihre E-Mails checkt. Zu den klassischen Aufgaben einer evangelischen Pfarrerin gehören auch in Gesundbrunnen die Gottesdienste, Taufen, Bestattungen, Seelsorgegespräche und viel Verwaltungsarbeit. Als moderne Pfarrerin will Johanna Hestermann aber vor allem die Kirche als offenen und einladenden Ort wieder sichtbar machen. Indem sie im Kiez gut vernetzt ist, attraktive Angebote schafft und Projekte besonders für junge Menschen anstößt. Und dazu gehört für die Pfarrerin nicht nur der Kirchenchor.

Insta-Account und Kita-Gespräche

So hat sie zum Beispiel einen Instagram-Account eingerichtet. Und Johanna Hestermann geht mit Kollegen regelmäßig zur Abholzeit in die Kita am Humboldthain. „Dann sind wir für die Eltern da und sprechen mit ihnen beispielsweise über die Corona-Krise.“ Noch bis zu den Sommerferien läuft dieses Gesprächsangebot. Was sich sonst noch alles auf die Beine stellen lässt und vor allem, was sich die Menschen wünschen und brauchen, wird sich zeigen. „Ich bin noch mit dem Ankommen und strukturellen Aufgaben beschäftigt“, sagt Johanna Hestermann. Langfristig werde es jedoch mehr Veranstaltungen geben. „Wir sollten nicht sitzen und warten, sondern auf die Menschen zugehen.“

Wichtig ist der weibliche Blick

Wichtig ist für die junge Frau, die zu einem Pfarrteam aus älteren Männern gehört, der weibliche Blick und dass man als Pfarrerin auch politisch sein darf. „Das muss man sogar“, findet sie. Solange es nicht um parteipolitisches Engagement gehe. „Jesus sagt, das Himmelreich ist unter uns, es fängt also im Hier und Jetzt an.“ Für die Pfarrerin heißt das: „Wenn wir die Themen der Bibel ernst nehmen, müssen wir uns für Menschen in Not engagieren, für diejenigen, die diskriminiert oder ungerecht behandelt werden, die gesellschaftlich ausgegrenzt sind.“ Schon allein deshalb sei ihr Beruf nicht überholt, sagt Johanna Hestermann. Auch wenn die Kirche im Leben vieler Menschen kaum mehr eine Rolle spielt und sich die klassischen Berührungspunkte mit ihr auf Trauungen, Taufen, Konfirmationen und Beerdigungen reduzieren. Was die Pfarrerin sehr bedauert. Und dennoch: „Mein Beruf lohnt sich, denn wir begleiten Menschen in verschiedenen Lebensphasen, wir sind für sie da und immer ansprechbar.“ Für sie persönlich sei es ein "sehr selbstbestimmter und vielfältiger Beruf", sagt die Pfarrerin.

Ob Johanna Hestermann ihre Pfarrstelle in den Gesundbrunnen-Gemeinden dauerhaft behalten wird, weiß sie noch nicht. Ihre Dienstzeit endet 2024. Und danach? „Ich sehe mich definitiv in der Arbeit einer Kirchengemeinde. Wenn es gut läuft, gern auch hier.“

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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