Thomas Lehmann predigte in der Versöhnungsgemeinde
Thomas Lehmann hat sich zum Interview in der Kapelle der Versöhnung verabredet. Der Lehmbau im ehemaligen Todesstreifen in der Bernauer Straße wurde 1999 auf den Trümmern der Versöhnungskirche errichtet, die das DDR-Regime 1985 gesprengt hat. Die originalen Glocken wie das verbogene Turmkreuz stehen als Mahnung und Erinnerung neben der Kapelle der Versöhnung. Vor dem Kreuz will sich der Pfarrer fotografieren lassen. Thomas Lehmann hat in der Kapelle in den vergangenen 14 Jahren gepredigt, ehrenamtlich. Vor dem Bau der Versöhnungskapelle ab 1991 im Gemeindehaus, dem heutigen Mauer-Dokumentationszentrum. Weil er seit drei Jahren auch hauptamtlich als Gefängnisseelsorger in Moabit den Insassen beisteht, wurde er jetzt aus dem Ehrenamt entpflichtet.Lehmanns Pfarrerkarriere ist nicht gerade das, was man sich allgemein darunter vorstellt. Der 58-Jährige ist ein Kirchenexot. Man könnte aufgrund seiner Biografie auch sagen, dass er Gottes Rebell ist. Hausbesetzer, Umweltaktivist und Atomkraftgegner, Taxifahrer und Stadtführer - Lehmanns Leben ist nicht langweilig. In Zehlendorf geboren, mischte der studierte Theologe und Sozialpädagoge seit Ende der 1970-er Jahre in der alternativen Szene Westberlins mit. Er hat Häuser besetzt, sich in der Anti-AKW-Bewegung engagiert, die Volkszählung 1987 boykottiert und die Umweltbewegung in der DDR unterstützt. Seine Verteidigungsrede im Prozess wegen des Volkszählungsboykotts machte der sprachgewandte Pfarrer zu einem Plädoyer gegen den Überwachungsstaat. Der heutige NSA-Skandal wundert ihn nicht. "Das war schon damals unser Thema", sagt Lehmann. Die Stasi hat den linken Idealisten 1982 an der Grenze hochgenommen, als er Flugblätter gegen die atomare Aufrüstung nach Ostberlin schmuggeln wollte. Sieben Jahre Einreiseverbot waren die Quittung. Danach war auch die DDR Geschichte.
Bis 1991 war Thomas Lehmann bei der Versöhnungsgemeinde als junger Pfarrer angestellt. Weil er aber nicht nur den "Insiderblick der Kirche haben wollte", wie er sagt, suchte er sich einen Job in der Druckindustrie und später als Taxifahrer; blieb aber ehrenamtlicher Pfarrer. Taxi fährt er immer noch. Und seit einigen Jahren bietet Lehmann als ausgebildeter Stadtführer ganz persönliche Taxitouren zu Themen rund um die Mauer. Seine Taxi-WALL-Fahrten heißen "Auf den Spuren der Berliner Mauer" oder "Rudi-Dutschke-Tour". Lehmanns Gäste können sicher sein, von einem echten Zeitzeugen und Experten durch Berlins Teilungsgeschichte geführt zu werden.
Leh, wie ihn seine Freunde nennen, wohnt mit Frau und seiner 19-jährigen Tochter in der Grüntaler Straße in Wedding. Das Haus hatte er 1983 mit besetzt und vor dem Abriss bewahrt. Seit 1984 haben die 30 Bewohner einen Nutzungsvertrag mit der Gesobau. In der Versöhnungsgemeinde will sich Thomas Lehmann weiter engagieren. Und vielleicht sonntags mal predigen.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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