Die Eskapade des Erwin S
Warum ein Spandauer Schüler nach dem Mauerbau weltberühmt wurde

Erwin Schabe, begleitet von Panzerspähwagen und Soldaten auf dem Weg zur Schule.  | Foto: British National Army Museum
3Bilder
  • Erwin Schabe, begleitet von Panzerspähwagen und Soldaten auf dem Weg zur Schule.
  • Foto: British National Army Museum
  • hochgeladen von Thomas Frey

Am 13. August jährt sich zum 60. Mal der Bau der Berliner Mauer. Von dem Betonwall, der etwas mehr als 28 Jahre existierte, ist kaum noch etwas übrig. Wo er einst verlief, gibt es jetzt den Berliner Mauerweg.

Entlang des Mauerwegs stehen viele Gedenkstelen, die vor allem an die Todesopfer gescheiterter Fluchtversuche erinnern. Auch am Eingang zur kleinen Wohnkolonie Eiskeller im äußersten Nordwesten von Spandau befindet sich ein Stelenensemble. Dort wird über eine besondere Geschichte berichtet, die sich kurz nach dem Mauerbau zugetragen hat. In ihrem Mittelpunkt stand der damals zwölfjährige Erwin Schabe. Er wurde zum weltberühmten Helden. Erst nach dem Mauerfall räumt er selbst ein, dass er damals "Fake News" in die Welt gesetzt hatte.

Erwin lebt 1961 mit seiner Familie im Eiskeller. Nach dem 13. August wird das Terrain zu einer Enklave. Die Mauer umschließt es fast vollständig. Nur eine kleine Straße verbindet Eiskeller noch mit Spandau. Links und rechts von ihr befindet sich der Grenzwall.

Panzerspähwagen sichert Schulweg ab

Erwin muss diesen Weg fast täglich passieren, um zu seiner Schule in Hakenfelde zu kommen. Er legt ihn mit dem Fahrrad zurück. Wenige Wochen nach dem Mauerbau kommt der Junge aber nicht in der Schule an. Er bleibt zunächst verschwunden, taucht nach einigen Stunden wieder auf und erzählt eine Geschichte, die weiteres Eskalationspotenzial in der ohnehin angespannten Zeit barg.

Er sei von DDR-Volkspolizisten abgefangen und festgehalten worden, berichtete Erwin. Nach diesem Erlebnis traue er sich nicht mehr allein auf den Grenzweg. Was allgemein verständlich war. Die britische Schutzmacht, in deren Sektor Spandau lag, reagierte unverzüglich und ließ den Zwölfjährigen ab sofort durch Soldaten begleiten. Diese Bilder gingen dann um die Welt, eines davon befindet auch an einer Stele am Eiskeller. Erwin, vorneweg mit seinem Fahrrad, dahinter ein Panzerspähwagen der Royal Army.

Mitgefühl, Sympathie, auch Bewunderung waren dem Jungen sicher. Wer bekommt schon militärischen Schutz auf dem Weg in die Schule? Erwin erhielt Fanpost aus vielen Ländern, war Held in Zeitungsartikeln und ein Bonner Beamter lud ihn für eine Woche zur Erholung an den Rhein ein. Ein mutiger Jugendlicher aus einer Spandauer Enklave trotzt dem Zwangsregime jenseits der betonierten Grenze. Ein Mutmacher in den schweren Wochen nach dem Mauerbau.

Geständnis Jahre nach Mauerfall

Es gab nur einen Haken. Die Erzählung stimmte nicht. Erwin Schabe hatte sie sich ausgedacht, weil er an diesem Tag die Schule geschwänzt hatte. Die Idee, sein Fernbleiben vom Unterricht mit einem Übergriff der DDR-Organe zu begründen, wäre naheliegend gewesen, erklärte er anlässlich seiner Beichte. Denn er habe die Grenztruppen ja regelmäßig beobachten können.

Dass er damals nicht die Wahrheit gesagt hatte, räumte Erwin erst 1994 öffentlich ein. Zu diesem Zeitpunkt war die Mauer schon mehr als vier Jahre gefallen, die Wiedervereinigung lag über drei Jahre zurück, Eiskeller war keine Enklave mehr. Sein Geständnis machte aber noch einmal Schlagzeilen. Auch das Spandauer Volksblatt hat damals darüber berichtet.

Den Briten und auch den deutschen Behörden wäre seine Eskapade bereits sehr früh bekannt gewesen, ließ der einst weltbekannte Eiskeller-Bewohner ebenfalls durchblicken. Es habe aber anscheinend kein Interesse bestanden, sie richtig zu stellen.

Ein wichtiges Detail hätte damals vielleicht darauf schließen lassen. Die Begleitung zur Schule per Panzerspähwagen war nach einigen Monaten eingestellt worden.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

52 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Hüft- und Kniebeschwerden können durch Unfälle, Verschleißerscheinungen oder Fehlstellungen verursacht werden und beeinträchtigen Ihre Beweglichkeit sowie Ihre Lebensqualität erheblich. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Für mehr Lebensqualität!
Linderung für Hüft- und Knieschmerzen

Hüft- und Kniebeschwerden können durch Unfälle, Verschleißerscheinungen oder Fehlstellungen verursacht werden und beeinträchtigen Ihre Beweglichkeit sowie Ihre Lebensqualität erheblich. Bei unserem Infoabend wird Tariq Qodceiah, Chefarzt für Orthopädie & Unfallchirurgie sowie Leiter des Caritas Hüftzentrums in Reinickendorf, Ihnen die verschiedenen Ursachen und Behandlungsstrategien für Knie- und Hüftschmerzen erläutern. Er stellt sowohl konservative als auch operative Methoden vor und zeigt,...

  • Reinickendorf
  • 25.02.25
  • 601× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Schonende Verfahren für Ihre Rückengesundheit werden am 19. März vorgestellt. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Informationen für Patienten
Minimal-Invasive Wirbelsäulenchirurgie

Leiden Sie unter anhaltenden Rückenschmerzen oder Wirbelsäulenbeschwerden? Moderne minimal-invasive Operationsverfahren ermöglichen eine schonendere Behandlung mit schnelleren Genesungszeiten. Erfahren Sie mehr über innovative Therapiemöglichkeiten bei unserem Infoabend mit Dr. (Univ. Kermanshah) Kamran Yawari, Teamchefarzt des Caritas Wirbelsäulenzentrums. In seinem Vortrag erläutert er die Vorteile minimal-invasiver Wirbelsäulenchirurgie und zeigt auf, wann und für wen diese Methoden sinnvoll...

  • Reinickendorf
  • 18.02.25
  • 840× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es gibt und wie moderne Behandlungsmöglichkeiten helfen können.  | Foto: pixel-shot.com, Leonid Yastremskiy

Proktologie: Ende gut, alles gut!

Unser Darm ist mit seinen 5 bis 7 Metern Länge ein wahres Wunderwerk unseres Körpers. Doch wenn es am Ende des Darms zu Erkrankungen kommt, kann das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen – auch wenn man es nicht sieht. Aus Scham werden diese Probleme oft verschwiegen, dabei gibt es in den meisten Fällen gute Behandlungsmöglichkeiten. Wir laden Sie herzlich zu unserem Informationsabend ein! Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es...

  • Reinickendorf
  • 19.02.25
  • 830× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.