Aufschlussreiche Feldpostbriefe veröffentlicht
Wenn am Ende des Gedenkjahres 2014 zum Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren eine Bilanz der Veröffentlichungen zu dem Thema gezogen wird, muss unbedingt Volker Kriegs "Landwehrmann Krieg im Krieg" hervorgehoben werden. Selten ermöglichen Dokumente, eine Epoche so intensiv aus der Perspektive ganz normaler Menschen nachzuerleben, die zwar nur vier Jahre dauerte, aber Europa und die Welt für immer veränderte.
Dabei ist Volker Krieg weder Historiker noch Schriftsteller. Der Heiligenseer des Jahrgangs 1949 begann seine berufliche Karriere 1968 bei der Bereitschaftspolizei im französischen Sektor von Berlin. Seine Polizeikarriere führte ihn dann durch die gesamte Stadt, nach der Vereinigung auch in deren ehemaligen Ostteil.
Die Dokumentation des Ersten Weltkriegs aus der Sicht der kleinen Leute fiel ihm aus familiären Neugier in die Hände. In einer Kiste fanden sich die Briefe seiner Großeltern, deren jüngerer Sohn Heinz (1910-1987) sein Vater war. Lange hatte Krieg diese Kiste mehr oder weniger ignoriert, schon weil er kaum die damals übliche Kurrentschrift entziffern konnte. Das hat er geändert, und aus den rund 400 Feldpostsendungen eine 312-Seiten gewichtige Auswahl getroffen, von der er sagt, er habe erst dadurch seine Großeltern richtig kennen gelernt.
Ein weiterer Glücksfall für die Publikation war, dass der gelernte Bild- und Schriftlithograph Wilhelm Krieg immer wieder Zeit fand, Zeichnungen von hoher Qualität von seinem Umfeld anzufertigen. Sie illustrieren, wie auch einige wenige Fotos, die Texte.
Wilhelm Krieg hat Glück im Unglück, als er am 5. August 1914 zu einem Pionier-Bataillon nach Spandau einberufen wird und seine Frau Margarete sowie die Söhne Heinz (vier Jahre) und Erich (sieben Jahre) in Charlottenburg zurücklassen muss. Krieg wird nämlich für die Materialversorgung im lang andauernden Stellungskrieg eingeteilt, was heißt, dass ihm die gefährliche Front weitgehend erspart bleibt. Schon Ende September 1914 ist er in Frankreich, und es scheint, als wechsele Willi jetzt fast täglich Briefe mit seiner Grete.
Die Schreiben werden dominiert von Alltagssorgen. Krieg beschreibt unbequeme Einquartierungen, bedankt sich immer wieder für Lebensmittelpakete. Die kann Grete nicht immer so füllen, wie sie es gerne täte, denn auch in der Heimat wird mit der Dauer des Krieges die Versorgung schlechter. Sie berichtet vom Alltag mit den Kindern, von Treffen mit Familienangehörigen. Und sie zieht ihn leicht argwöhnisch damit auf, dass er jetzt noch Französisch lernen will, auch, um sich mit seinen Wirtsleuten zu verständigen.
Das Grauen des Krieges taucht oft blitzlichtartig auf. Der erste Tod im Gefecht, den Krieg beschreibt, handelt von einem Kameraden, der sich mit einem Sprung vor Granaten in Sicherheit bringen will - und ausgerechnet dort landet, wo ein solches Geschoss explodiert. Krieg berichtet von der Beerdigung. Als ihm Grete ein Jahr später den Soldatentod eines Freundes mitteilt, verweist Krieg resignierend auf das Schicksal.
Auffällig ist, dass Krieg nie abfällig über die Franzosen spricht, in deren Land er sich befindet. Zum Jahreswechsel 1914/1915 vermittelt er beinahe eine Brieffreundschaft zwischen einer achtjährigen Französin und seinem siebenjährigen Erich. Er legt Wert darauf, dass sich die Kinder direkt schreiben.
Und manchmal führt Krieg seinen ganz persönlichen Krieg, nämlich gegen anmaßende Offiziere. Als sich einmal ein Infanterie-Offizier zu viele der für die Instandsetzung von Schützengräben gefragten Bretter aus dem Depot geben lässt, informiert er seinen eigenen Vorgesetzten. Die Bretter kommen wieder zurück. Und es scheint ihn auch anlässlich eines Vorfalles zu freuen, dass Kameraden, die wegen Händel mit Vorgesetzten degradiert wurden, wieder ihre früheren Ränge zurückerhalten. Krieg ist im Krieg einfach immer Mensch geblieben.
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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