Wasser und Wässerchen
Kaulsdorf. Die Wuhle hat es sogar ins Wappen des Bezirkes Marzahn-Hellerdorf geschafft, was man dem Flüßchen, das sich in natura schmal durchs breite grüne Wuhletal schlängelt, kaum glauben mag. Auf der Westseite des Tals steigt das Gelände hier, südlich der Station Wuhletal mit der Biesdorfer Höhe sogar bis auf 80 Meter an. Kaulsdorf liegt am östlichen Hang, überragt vom Turm der Dorfkirche, die mitten auf dem historischen Anger steht. Als vor 150 Jahren die Preußisch-Königliche Ostbahn erstmals das Gemeindegebiet querte und im Süden die alte Reichsstraße 1 immer weiter ausgebaut wurde, erlebte das einstige Niederbarnimer Dörfchen bald gewaltige Veränderungen. Am 1. Oktober 1920, vor nun schon 95 Jahren, kam es wie viele andere Ansiedlungen rund um die eben noch kaiserliche Reichshauptstadt zu Groß-Berlin, zum neuen Stadtbezirk Lichtenberg. Ringsum breitete sich am östlichen Berliner Stadtrand bald das größte Einfamilienhausgebiet Deutschlands aus, nördlich der Bahn schlossen sich in den letzten Jahrzehnten die größten Plattenbau-Siedlungen Europas an. Angestammte ältere Kaulsdorfer wohnen, ohne auch nur einmal umgezogen zu sein, schon im vierten Stadtbezirk: Auf Lichtenberg folgte 1979 Marzahn, 1986 Hellersdorf und vor 15 Jahren Marzahn-Hellersdorf als stetig wachsende Großstadt mit jetzt mehr als 250 000 Einwohnern.
Am ruhigen Dorfanger sind bis heute die traditionellen Drei- und Vierseithöfe zu finden, längst vielfach für Wohnzwecke um- und ausgebaut.
Als am 1. Juli 1989 die U-Bahnstrecke ins märkische Hönow eröffnet worden ist, hielten erstmals in Berlin hier am neuen Bahnhof Wuhletal S- und U-Bahnen an denselben Richtungsbahnsteigen stadtein- oder stadtauswärts. Bald wird man auf beiden Nr.-5-Linien nicht nur direkt bis zum Alex, sondern sogar bis Hauptbahnhof fahren können.
Schon 1782 hatte in Kaulsdorf eine Phase landwirtschaftlich-industrieller Entwicklung begonnen: Der Naturwissenschaftler Franz Carl Achard kaufte das Gut an der Dorfstraße 1, unternahm seine bald erfolgreichen Versuche: Zucker aus Runkelrüben. Den Platz prägt seit 1921 die Familie des damals frisch emigrierten Petersburger Spirituosenfabrikanten und Hoflieferanten Apollon F. Schilkin. Eine beispiellose Erfolgsgeschichte: Schilkin-Wodka und anderes Hochprozentige eroberte deutsche Kehlen. Sohn Sergej, im Hauptberuf studierter Diplom-Ingenieur und ab 1944 Leiter des Instituts für Schweißtechnik der damaligen TH Berlin, baute nach 1945 den zerstörten Betrieb wieder auf. Als Privat- wie „halbstaatlicher“ Unternehmer, ab 1971 bis zur Pensionierung als Leiter des VEB Schilkin, und nach der Reprivatisierung noch einmal als Geschäftsführer, ausgezeichnet mit dem Verdienstorden der DDR und dem der Bundesrepublik. Über ein halbes Jahrhundert trug er mit seinen berühmten Produkten dazu bei, die alte Wodkagrenze bis weit über 500 Kilometer Richtung Westen zu verschieben, Schwiegersohn und längst auch Enkel traten in die Fußstapfen des Seniors. In den Neunzigern schaffte es Sergej Schilkin, inzwischen auch Ehrenpräsident seines Branchenverbands in der Bundesrepublik, mit kräftigen Spende die Wiederherstellung des ursprünglichen Turmes der Dorfkirche anzuschieben. Die heutige Jesuskirche stammt schon aus der Zeit der deutschen Dorfgründung Anfang des 13. Jahrhunderts, wurde in ihrer langen Geschichte vielfach erneuert. Im letzten Jahrzehnt ist sie auch deshalb weithin bekannt geworden, da nach einigen Funden während der Restaurierungen die Erforschung der Totenkronen, ein vergessener religiöser Volksbrauch in der Mark Brandenburg von hier ihren Ausgang nahm. BSM
Die Führung mit Bernd S. Meyer, dem Mann mit der Leiter, beginnt am Samstag, 24. Oktober 11 Uhr. Treffpunkt: Bahnhof Wuhletal, Fußgängertunnel nach Kaulsdorf. Verkehrsverbindung: Station Wuhletal S5, U5, Bus 191, 291.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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