Mit Sport gegen Multiple Sklerose
Helga Balkie (63) ist Europameisterin und dreifache Weltmeisterin im Para-Karate
Der schwarze Gürtel ist festgezurrt, jeder Tritt und jeder Schlag sind perfekt einstudiert. Helga Balkie bewegt sich gekonnt auf der Trainingsmatte. Im Dojo (Trainingsraum) des Hellersdorfer Athletik-Clubs Berlin in der Heinrich-Grüber-Straße in Kaulsdorf feilt die 63-Jährige an ihrer Kata. Dabei handelt es sich um einen Scheinkampf gegen imaginäre Gegner, eine festgelegte Serie von Techniken.
Die Hellersdorferin gehört zu den besten Para-Karatekas der Welt. Obwohl sie bei großen Turnieren oft auf Konkurrentinnen trifft, die vom Alter her auch ihre Enkelinnen sein könnten, setzt sie sich immer wieder durch. Bei den Weltmeisterschaften im Para-Karate in Bremen 2014, Linz 2016 und Madrid 2018 sowie bei der EM 2018 in Novi Sad gewann sie jeweils den Titel.
Im Alter von 18 Jahren fing Helga Balkie mit der Kampfkunst an. In ihrer Jugend probierte sie viele Sportarten aus, darunter Eiskunstlauf, Leichtathletik und Judo. Bei Karate blieb sie hängen, auch nachdem sie erblindete. Noch als Teenagerin wurde ihr die Diagnose Multiple Sklerose mitgeteilt: eine chronisch-entzündliche neurologische Autoimmunerkrankung, die im Laufe des Lebens voranschreitet und immer weitere körperliche Beeinträchtigungen mit sich bringt.
Plötzlich schießt der Blutdruck in die Höhe
Die Folgen können bei jedem Betroffenen unterschiedlich ausfallen. Bei der heute 63-Jährigen führte es dazu, dass sie bald nach der Erkrankung nichts mehr sehen konnte. Eine Zeitlang fiel sie deswegen in ein tiefes Loch, wie sie sagt. Doch Helga Balkie kämpfte sich wieder heraus. Die Krankheit schlägt bei ihr immer wieder nach längeren Pausen zu. „Alle paar Jahre kommt ein Schub. Ich muss mein Leben dann immer wieder neu anpassen“, erzählt sie. Wenn es passiert, kann es äußert brenzlig werden. Dann schnellt ihr Blutdruck in die Höhe, ihre Atemmuskulatur funktioniert nicht mehr richtig und sie hat Atemnot.
Schub am Tag des Finales
2018 während der Europameisterschaft bekam sie ausgerechnet am Tag des Finales einen Schub. „Wir wussten danach nicht einmal, ob sie allein die paar Stufen zur Matte hochkommt. Dennoch hat sie dann am Abend das Finale gewonnen“, berichtet die Para-Beauftragte des Deutschen Karate Verbands, Kathrin Brachwitz. Sie begleitet Helga Balkie bei den Turnieren, ist bei Trainingslagern an ihrer Seite und hilft ihr auch privat.
Für den AC Berlin ist die amtierende Weltmeisterin ein Aushängeschild. Dort bringt sie anderen Menschen mit Sehbehinderung ihren Sport näher. In Inklusionsgruppen trainieren außerdem Kinder und Jugendliche mit Trisomie 21 sowie ohne körperliche oder geistige Behinderung mit. Um zu verstehen, wie sich Helga Balkie auf der Matte fühlt, werden ihnen bei den Übungseinheiten auch schon mal die Augen verbunden.
„Sie ist eine Rampensau“
„Sie ist eine Rampensau. Ihre Stärken sind ihre gute Körperspannung und dass sie die Richtung hält“, sagt Kathrin Brachwitz. Wenn sie auf der Matte steht, verlässt sich Helga Balkie komplett auf ihr Gehör. Sie orientiert sich am Schnipsen ihres Trainers und an den Geräuschen, die bei der Bewegung im Karateanzug entstehen. Auch auf die Atemzüge ihres Gegenübers achtet sie, wodurch sie sogar Tritte blocken kann.
Wie sie das macht? „Viel üben“, sagt sie. Körperkontakt gibt es jedoch nur im Training. Für den Wettkampf studiert sie eine Choreografie ein. Balkie liebt ihren Sport, dem sie auch deshalb nachgehen kann, weil ihr Sohn, der als Karate-Trainer selbst im AC Berlin aktiv ist, sie immer unterstützt hat. „Karate beansprucht alle Muskeln. Dazu gehören Gleichgewichtsübungen und auch Gedächtnistraining. Außerdem kann man es bis ins hohe Alter machen“, erklärt sie.
Nächstes Ziel: WM in Dubai
Umso größer war für sie die Belastung durch die monatelangen Sportverbote seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. „Das hat mich schwer getroffen, weil der Sport mich in Bewegung hält und mir gegen die Krankheit hilft. Training zu Hause wiegt das nicht auf“, sagt sie. Gruppen dürfen sich zwar noch immer nicht treffen. Als Athletin aus dem Bundeskader darf sie aber mittlerweile zumindest wieder zum Einzeltraining erscheinen. Das ist auch dringend nötig, denn die nächsten sportlichen Ziele warten schon. Im November will sie zur nächsten Para-WM nach Dubai. Bereits im Mai steht die EM in Kroatien auf dem Programm, sofern sie stattfinden kann. Natürlich möchte sie auch dort wieder erfolgreich sein.
Autor:Philipp Hartmann aus Köpenick |
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